Mit seinen modernen Einkaufszentren ist Bangkok ein wahres Paradies für Shopping-Fans. Ein ganz eigenes Erlebnis ist jedoch der Besuch eines alten Kaufhauses am Rande von Chinatown. Die Stippvisite im Nightingale-Olympic ist eine geradezu skurrile Reise in die Vergangenheit.
Hinter mir verstummen die Geräusche der Stadt, zurück bleibt das Brummen der Motoren. Von Mopeds, Tuk-Tuks und Bussen, die draußen im Sekundentakt um die Ecke brausen. Dafür liegt das Erdgeschoss des Nightingale-Olympic nun wie ausgestorben vor mir. Es ist beinahe so, als hätte man mich geradewegs in eine andere Welt gebeamt, wo ich nun allein bin mit einigen Puppen, deren leerer Blick in die Ferne schweift. Irgendwohin ganz weit weg. Wo aber stecken die Kunden, die anderswo so zahlreich in die Shopping Malls des Molochs Bangkok strömen?
Inhalte
- 1 Brutalismus in Bangkok
- 2 Entdeckungen im Erdgeschoss
- 3 Etagenwechsel im Nightingale-Olympic
- 4 Das Geheimnis des Nightingale-Olympic
- 5 “Sexspielzeug” auf dem Prüfstand
- 6 Zurück im Nightingale-Olympic
- 7 Begegnung mit Aroon Niyomvanich
- 8 Kaufhaus Nightingale-Olympic kompakt
- 9 Bildergalerie – weitere Impressionen
Brutalismus in Bangkok
Beinahe einhundert Jahre zurück reicht die Geschichte des Nightingale-Olympic. Eine chinesische Familie hatte das Kaufhaus im Jahr 1930 gegründet, damals noch an einem anderen Standort ganz in der Nähe seiner jetzigen Heimat. Bestand das Warensortiment zunächst aus Kosmetikartikeln und Bekleidung, kamen später, inspiriert durch Reisen in das ferne Europa, noch Sportgeräte und Musikinstrumente hinzu.
Der jetzige Bau in der Tri Phet Road stammt aus dem Jahr 1966. Auffällig ist die Fassade mit ihrem Muster aus Betonelementen – der Brutalismus, ein ausdrucksstarker Architekturstil der damaligen Zeit, lässt grüßen. Für Kontrast an der Frontseite sorgt das rot-goldene Logo, in Farbe und Form stark an das Label der kubanischen Rum-Marke Havana Club erinnernd. Statt um Hochprozentiges geht es jedoch um sportliche Höchstleistungen. Einer Medaille gleich vereint das goldumrandete Emblem bekannte olympische Symbole in sich: das Feuer und die fünf Ringe.
Entdeckungen im Erdgeschoss
Neugierig mache ich mich auf, das Sortiment des Warenhauses unter die Lupe zu nehmen. Zuvor aber bemerke ich noch einige Verkäuferinnen in auffälligen pinkfarbenen Blusen. Sie halten die Stellung im Nightingale-Olympic und für mich, den einsamen Besucher, gibt es hin und wieder einen prüfenden Blick.
Ein umfangreiches Angebot an Tennisbedarf findet sich im Erdgeschoss. Rackets aus Holz etwa, wie sie bis in die 80er Jahre hinein verwendet wurden. Einer, der früher damit groß aufgespielt hat, ist John McEnroe, der auf einem Werbeplakat in Aktion zu sehen ist, als Sieger bei den US Open 1979. Es wirkt beinahe so, als ob dieser Triumph gerade gestern erst war und nicht schon vierzig Jahre her ist. Vielleicht sollte die Tennis-Legende, vom Boulevardblatt The Sun einst als griesgrämigstes Großmaul des Tennissports bezeichnet, einmal nach Bangkok kommen und sich im Nightingale-Olympic auf eine Zeitreise begeben. Garantiert würde sich der Tennis-Rüpel hier gleich einige Jahrzehnte jünger fühlen. McEnroe, der das Altwerden als Schlampe bezeichnet, hat übrigens gerade seinen sechzigsten Geburtstag gefeiert.
Miederwaren und weitere Bekleidungsartikel ergänzen das Sortiment, Schuhe gibt es ebenfalls und schließlich entdecke ich zwischen allerlei anderen Utensilien im Erdgeschoss noch eine Schachtel. Die Frisur der darauf abgebildeten Dame dürfte aus den 60er oder 70er Jahren stammen, ein wenig erinnert sie an die Schauspielerin Uschi Glas. Während ich noch über den Inhalt der Verpackung sinniere, sorgt plötzlich ein deutlich vernehmbares “No” dafür, dass ich unvermittelt aus meinen Gedanken gerissen werde. Eine der Verkäuferinnen muss meine dezenten Fotografierversuche bemerkt haben. Das Verbotsschild im Eingangsbereich des Nightingale-Olympic hatte ich zwar zur Kenntnis genommen, jedoch geflissentlich ignoriert.
Etagenwechsel im Nightingale-Olympic
Ich beschließe, zunächst den Standort zu wechseln. Später werde ich sicher noch einmal auf die Schachtel mit der lächelnden Retro-Look-Frau und der Aufschrift Vibrator zurückkommen, um den Inhalt genauer unter die Lupe zu nehmen. Wenn das vermeintliche Sexspielzeug all die Jahre, oder besser wohl Jahrzehnte, auf eine Käuferin gewartet hat, wird es mir jetzt schon nicht davonlaufen.
In der ersten Etage dominieren Musikgeräte und Sportequipment. Neben Diskusscheiben, Hanteln und veralteten Fitnessgeräten findet sich eine Auswahl an Gitarren und anderen Instrumenten. Einer, der sich mit Musik auskennt, ist Carsten Litfin. Carsten ist Gitarrist und Musikproduzent – und, wie der Autor auch, Hannoveraner. Dem Experten zeige ich die Bilder der Klampfen aus dem Nightingale-Olympic. Es handele sich dabei zwar nicht um Kostbarkeiten, aber aus den 60er oder 70er Jahren stammten die Instrumente allemal, lautet die Expertise. Noch ein Beleg dafür, dass man das ursprüngliche Warensortiment nie auf einen neueren Stand gebracht hat, wodurch das ursprünglich vielleicht einmal florierende Warenhaus nach und nach zu einer Art Museum wurde.
Das Geheimnis des Nightingale-Olympic
Was hat es nun eigentlich auf sich mit diesem Kaufhaus und seinem antiquierten Warenangebot? Der Besuch wirft Fragen auf, die nach Antworten verlangen, doch wer kann für Aufklärung sorgen?
Die US-amerikanische Journalistin Courtney Lichterman hat einige Monate vor mir ebenfalls recherchiert und für die BBC die Eigentümerin des Nightingale-Olympic ausfindig gemacht. Sie hat Aroon Niyomvanich zu den Hintergründen des sonderbaren Kaufhauses befragt und erfahren, dass das Haus der ganze Lebensinhalt seiner Besitzerin ist. Die inzwischen 97-jährige wurde quasi in den Familienbetrieb hineingeboren und hat die Leitung irgendwann von ihrem älteren Bruder, der das Unternehmen zuvor als Vermächtnis der verstorbenen Eltern geführt hatte, übernommen.
Wie wird es in Zukunft wohl weitergehen mit dem traditionsreichen Kaufhaus? Was wird aus dem Nightingale-Olympic, wenn seine Besitzerin es eines Tages nicht mehr weiterführen kann? Wer wird Aroon Niyomvanich beerben? Die jüngeren Leute in der Verwandtschaft hätten nämlich andere Zukunftspläne, erfährt Reporterin Courtney Lichterman von der alten Dame. Und die am ehesten infrage kommenden Kinder ihres Bruders wären aufgrund des eigenen, ebenfalls bereits fortgeschrittenen Alters selbst kaum mehr in der Lage, ein solches Erbe anzutreten.
“Sexspielzeug” auf dem Prüfstand
Während Courtney sich auch noch in höheren Regionen des Nightingale-Olympic umsehen durfte, das Kaufhaus verfügt über insgesamt sieben Etagen, ist für mich nach dem ersten Stockwerk Schluss. “No entry”, heißt es an der Treppe, die weiter nach oben führt, und ich mache mich auf, meine Erkundungen im Erdgeschoss fortzusetzen und hier für diesmal abzuschließen. Dort, wo die Schachtel mit dem “antiken” Dildo darauf wartet, weiter unter die Lupe genommen zu werden.
Es stellt sich heraus, dass es sich bei dem Stab tatsächlich um ein für sämtliche Körperregionen vorgesehenes Massagegerät handelt. An eine lustverschaffende Wirkung allein in erogenen Gebieten des Körpers scheint man bei dem Apparat also nicht gedacht zu haben. Aber wer weiß, vielleicht handelt es sich auch nur um eine geschickte Tarnung, um das Kind nicht direkt beim Namen zu nennen. Denn ganz sicher war es in den 60er Jahren noch nicht angesagt, ein solches “Hilfsmittel” offen als Sexspielzeug anzupreisen – egal, ob in Bangkok oder anderswo.
Meine Entdeckung, den Ganzkörperdildo, und die anderen Vintage-Artikel lasse ich alsbald zurück. Und nehme stattdessen den Vorsatz mit, die weitere Entwicklung des skurrilen Ortes zu verfolgen, wieder nach dem Rechten zu sehen in Bangkoks ältester Shopping Mall, wenn ich zurück bin. Doch vorerst hat die Zeitreise ein Ende, mit letzten Eindrücken, schon draußen auf der Straße. Von den Puppen im Schaufenster, deren leerer Blick in die Ferne schweift. Irgendwohin ganz weit weg.
Zurück im Nightingale-Olympic
Plötzlich wird mir auf die Finger gehauen, ich hatte gar nicht gemerkt, dass sich von hinten jemand genähert hatte. Einige Wochen sind vergangen und ich hatte Bangkok zwischenzeitlich den Rücken gekehrt. Nun aber bin ich zurück und es ist bereits der letzte Tag für mich, in wenigen Stunden schon geht mein Flug nach Deutschland. Das Nightingale-Olympic hatte ich gar nicht im Sinn, tatsächlich hatte ich zunächst einige andere Ziele angesteuert, dann, auf dem Rückweg zu meiner Herberge, jedoch auf einmal festgestellt, dass ich ganz in der Nähe des Kaufhauses bin.
Klar, dass die Entscheidung nicht schwer fällt, kurz noch einmal hineinzuschauen. Das erste, was mir ins Auge fällt, ist ein Foto. Es steht auf einer der Vitrinen und zeigt Aroon Niyomvanich, die Besitzerin des Nightingale-Olympic, zusammen mit dem verstorbenen König Bhumibol Adulyadej. Möglicherweise hatte ich es zuvor übersehen. Jedenfalls ist genau das nun der Moment, in dem mir eine der Angestellten in den pinkfarbenen Blusen auf die Finger haut. “No photo” heißt es streng, worauf ich, entschuldigend lächelnd, die Kamera zunächst wieder einpacke.
Begegnung mit Aroon Niyomvanich
Dass es sich bei der alten Dame im hinteren Bereich um Aroon Niyomvanich handelt, ist mir sofort klar. Bei meinen ersten Besuchen des Kaufhauses hatte ich sie nicht entdecken können. Bestimmt war sie auch damals schon vor Ort gewesen, hatte vielleicht ein Mittagsschläfchen gehalten, es wäre die Zeit dazu gewesen. Ob sie die Besitzerin ist, will ich wissen. Die Frage, eigentlich rhetorischer Art und nur gedacht, um das Gespräch aufzunehmen, offenbart jedoch Verständigungsprobleme.
So ist das Gespräch kurz, sie will wissen, woher ich komme und erzählt, auch sie sei vor langer, langer Zeit in Deutschland gewesen. Ihr Alter verrät sie mir, natürlich kann sie nicht wissen, dass ich es längst kenne. Um ein Foto bitte ich dann, was sie zunächst ablehnt. Ich bleibe hartnäckig, lächele und bitte abermals und schließlich willigt sie ein. Wäre es mein erster Besuch des Nightingale-Olympic, würde sich darauf vortrefflich die ganze Geschichte aufbauen, nur nähme sie einen ganz anderen Verlauf. Ich würde um ein ausführlicheres Gespräch bitten, jemanden zum Übersetzen organisieren und es gäbe viel zu fragen. So jedoch ist das Aufeinandertreffen mit Aroon Niyomvanich das letzte Kapitel meiner bereits fertigen Story. Die kurze Begegnung inklusive Foto ist das i‑Tüpfelchen darauf.
Kaufhaus Nightingale-Olympic kompakt
Die Adresse lautet: 70 Tri Phet Road
Für Besucher mit einem Faible für Eindrücke jenseits des üblichen Touristentrails bietet es sich an, den Besuch von Bangkoks Chinatown mit einem Abstecher zum Nightingale-Olympic zu verbinden. Tipp: Direkt gegenüber befindet sich mit dem Old Siam Plaza ein weiteres Kaufhaus, das die meisten Besucher ebenfalls nicht auf dem Schirm haben. Dort lassen sich im Erdgeschoss authentische thailändische Snacks verkosten, einen Schwerpunkt bilden dabei süße Sachen.
Bildergalerie – weitere Impressionen
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