Die mächtige Ponte Dom Luís I gehört zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten Portos, sie ist ein Wahrzeichen der Stadt. Und gleich neben der berühmten Brücke befindet sich eine weitere Attraktion, ein Mural, das nicht zu übersehen ist. Das Wandgemälde ist das Werk von Frederico Draw, einem der besten Street-Art-Künstler Portugals. Ich habe Frederico getroffen und zu der Geschichte des Kunstwerks befragt. Er hat das Geheimnis um den alten Mann gelüftet.
Die Ponte Dom Luís I überspannt den Douro, von Porto führt sie hinüber nach Vila Nova de Gaia. Zu den Portwein-Kellereien Calém, Burmester, Sandeman, Graham und wie sie alle heißen. Und auch nach Afurada, dem charmanten Fischerdorf, gelangt man. Einst die größte schmiedeeiserne Bogenbrücke der Welt, ist die Ponte heute ein Wahrzeichen der Stadt und auch als Aussichtspunkt beliebt. Man schaut hinunter auf das glitzernde Wasser der Douro-Mündung, bevor sich der Fluss mit dem Atlantik vereinigt. Und auf die bunten alten Häuser mit ihren roten Dächern, das typische Bild der Ribeira, der historischen Altstadt von Porto.
Und spätestens, wenn man vom Abstecher auf die andere Seite wieder zurückkehrt, fällt der Blick auch auf das imposante Kunstwerk mit dem Namen An.fi.tri.ão. Auf einen alten Mann, der mit wachen Augen von dem Mural herabblickt und die Besucher Portos mit einer einladenden Geste willkommen heißt. Man läuft dem Gastgeber, das ist die Bedeutung von Anfitrião, geradewegs in die Arme.
Der Begriff – was ist ein Mural?
Mural bedeutet Wandmalerei, die Mauer dient dabei, anstelle von Holz oder Leinwand, als Untergrund. Ihren Ursprung haben Murals im Muralismo, einer Kunstform, die aus Lateinamerika stammt. Bei den Gemälden handelt es sich oft um Auftragsarbeiten, teilweise entstehen sie auch im Rahmen von Street-Art-Festivals. Da das Wesen von Street Art mit ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen jedoch eigentlich in ihrer Illegalität liegt, sind Murals wie das Kunstwerk von Frederico Draw strenggenommen eher der Urban Art zuzurechnen. Unter urbaner Kunst werden sämtliche Ausprägungen von Kunst im öffentlichen Raum zusammengefasst.
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Parkplatzkunst in Rio Tinto
Charles Darwin und Albert Einstein blicken mir entgegen. Außerdem zwei Portugiesen, deren Name mir bislang nichts sagt. Ihre Konterfeis schmücken den Parkplatz einer Schule in Rio Tinto im Nordosten von Porto und signalisieren, hier bin ich richtig. In dem Vorort bin ich mit Frederico Soares Campos, Künstlername Frederico Draw oder einfach nur Draw, verabredet und die berühmten Gesichter von Einstein & Co. erinnern stark an den Stil des Künstlers. Doch das Gebäude der Escola Secundária de Rio Tinto ist abgeschlossen, kein Mensch weit und breit. Trotz der Murals, es ist nicht der Ort unserer Verabredung.
Mein Umweg war jedenfalls nicht für die Katz, denn wenigstens habe ich die Kunstwerke ausgiebig unter die Lupe genommen. Frederico Draw wird später berichten, dass sie im Rahmen eines Projektes entstanden sind, dass Teilnehmer eines Kunstkurses unter seiner Anleitung tätig waren. Nachzutragen ist noch, um wen es sich bei den beiden anderen handelt – neben Charles Darwin, dem Begründer der modernen Evolutionstheorie, und Albert Einstein, dem Physiker und wohl berühmtesten Wissenschaftler überhaupt. Denn der illustre Kreis virtueller Schulpaten wird noch von zwei Dichtern und Denkern ergänzt.
Sophia de Mello Breyner Andresen ist die Urenkelin eines dänischen Einwanderers und zählt zu den wichtigsten portugiesischen Autorinnen. Sie selbst bezeichnete sich als Geschichtenerzählerin. Und um einen bedeutenden Autoren sowie Dichter handelt es sich auch bei Fernando Pessoa aus Lissabon. Der schrieb nicht nur unter 72 verschiedenen Namen, sogar eigene Biografien dachte er sich für manche der fiktiven Charaktere aus. Zu einem der bedeutendsten Literaten des 20. Jahrhunderts wurde Pessoa jedoch erst nach seinem Tod, zu Lebzeiten waren die meisten seiner Werke unveröffentlicht geblieben.
Frederico Draw bei der Arbeit
Nach wenigen hundert Metern habe ich den richtigen Zielort dann doch endlich erreicht. Frederico erwartet mich bereits und führt durch das Gebäude. Schulbänke sind hier längst nicht mehr vorhanden, stattdessen bieten die ehemaligen Unterrichtsräume nun kreativen Menschen Raum, sie werden von Künstlern unterschiedlicher Genres genutzt.
Frederico Draw hat sich die obere Etage gesichert, wo er Bilder für eine bevorstehende Ausstellung vorbereitet. Auf Leinwand diesmal, es müssen also nicht immer großflächige Hausfassaden sein, die als Untergrund dienen. Hier, in der früheren Schule in Rio Tinto hat er jedenfalls ausreichend Platz für die Fertigung der Porträts, die für den Künstler so charakteristisch sind.
Die Geschichte des Künstlers
Die Wurzeln seines kreativen Schaffens liegen bereits in jungen Jahren, als 12-Jähriger ist er von Graffiti fasziniert. Begeistert von der aus New York stammenden Hip-Hop-Kultur hat Frederico zu diesem Zeitpunkt jedoch noch keine eigenen künstlerischen Ambitionen.
Später, zu Beginn seiner Karriere als bildender Künstler steht dann zunächst die Arbeit mit Nacktmodellen im Fokus, Gesichter sind noch nicht das bevorzugte Motiv. Auch der Darstellung von Händen widmet er sich anschließend noch eine Weile und erst über diese Stationen entdeckt Frederico Draw schließlich sein Faible für die Wiedergabe expressiver Gesichtszüge. Um wen handelt es sich bei den porträtierten Menschen? Hin und wieder nutzt Frederico die Gelegenheit und fotografiert Leute, die bei ihm zu Besuch sind. Um später dann, je nach Bedarf, aus diesem Bildarchiv passende Vorlagen auszuwählen.
In Porto gibt es zu Fredericos Bedauern nicht viele Möglichkeiten, um seine mächtigen Murals auf geeigneten Flächen zu präsentieren. Oft ist er jedoch außerhalb, in anderen portugiesischen Städten, unterwegs und im Ausland ist seine Kunst ebenfalls gefragt. Auch in der Lutherstadt Wittenberg hat Frederico Draw schon seine Spuren hinterlassen. Nach Rom wurde er eingeladen, um den berühmten italienischen Regisseur und Dichter Pasolini mit einem Gemälde zu ehren (hier ein Film aus der Entstehungsphase) und in New York hat er ein Bild der puertoricanischen Lyrikerin Julia de Burgos gemalt, um nur einige Beispiele zu nennen.
Auch in den Straßen von Ponta Delgada, der Hauptstadt der Azoreninsel São Miguel, ist eines von Fredericos Werken zu finden. Später sollte ich davon überrascht werden, denn Street Art auf den Azoren hatte ich nicht unbedingt erwartet. Eine Frage drängt sich noch auf mit Blick auf die abgebildeten Menschen, nie sind lachende Gesichter auf den Bildern zu finden, was ist der Grund? Frederico schüttelt den Kopf, nein, das sei tatsächlich nicht sein Ding. Er will ernste Gesichter, die seien ausdrucksstärker, etwas anderes komme für ihn nicht infrage.
Das Geheimnis des Murals
Doch zurück zur Ponte Dom Luís I, Portos berühmter Brücke, und zum großen Gemälde daneben, an dem jeder Besucher der Stadt früher oder später vorbeikommt. Viele Fotos machen die Touristen von diesem Blickfang zwar, doch niemand kennt sein Geheimnis. Es ist Zeit, Frederico Draw die Geschichte des Kunstwerks erzählen zu lassen und, um es gleich vorweg zu nehmen, bei dem alten Mann handelt es sich um seinen Großvater.
Das Wandbild ist 2015 entstanden. Ohne den Opa vorab einzuweihen, hatte Frederico dessen Gesicht auf die Fassade gemalt. Und erst, als das Kunstwerk fertig war, auch das Fernsehen war bei diesem großen Augenblick dabei, hat er den alten Mann dann an den populären Ort nahe dem Douro-Fluss gebracht und so natürlich für eine große Überraschung gesorgt. Mächtig stolz war der Großvater, als er das Ergebnis der heimlichen Kunstschöpfung sah – auf das vortrefflich gelungene Porträt, das ihn selbst zeigt, und natürlich auf den grandiosen Künstler, seinen Enkel.
Dem Namen des Kunstwerkes, An.fi.tri.ão, kommt im Übrigen eine doppelte Bedeutung zu. Zunächst einmal ist der alte Mann ja der symbolische Gastgeber der Stadt Porto und heißt die vorbeilaufenden Besucher willkommen. Tatsächlich hat er diese Rolle anfangs aber auch für seinen Enkel eingenommen. Als Frederico nämlich zum Studium nach Porto kam, hat ihm der Großvater mit seiner Gastfreundschaft die Eingewöhnung in die große Stadt erleichtert. Was für eine tolle Geste, sich nun auf diese Weise dafür zu bedanken!
Inzwischen ist das Gemälde ein Wahrzeichen von Porto, ähnlich wie die anderen Attraktionen, die nur wenige hundert Meter entfernt zu finden sind. Wie die Brücke in direkter Nachbarschaft. Wie, gleich um die Ecke, Sé do Porto, die Kathedrale mit den typisch-portugiesischen Azulejos. Wie der berühmte Bahnhof, Estação de São Bento, im Inneren ebenfalls mit vielen der bunten Kacheln ausgestaltet. Oder wie der Torre dos Clérigos, der Turm der barocken Clérigos-Kirche, einer der beliebtesten Aussichtspunkte.
Urbane Kunst und Architektur als Wahrzeichen
Sie sind für die Ewigkeit geschaffen, diese Meisterwerke der Architektur, so wirkt es zumindest. Sie sind massiv und robust. Unverwüstlich etwa wie die Brücke Ponte Dom Luís I – eröffnet 1886 und seitdem zuverlässig in Betrieb. Das Mural hingegen zeigt seine Vergänglichkeit, nach drei Jahren bereits blättert Farbe vom morschen Putz. Aber auch verbindendes gibt es zwischen Baukunst und Wandgemälde: Architekten sind nämlich allesamt verantwortlich für die Entstehung, denn ein solcher ist ursprünglich auch Draw, der begnadete Street-Art-Künstler.
Auch urbane Kunst und Street Art sind jedenfalls, neben den üblichen Sehenswürdigkeiten, ein spannender Teil des Stadtbildes und nicht wegzudenken aus Portos Straßen. Viele kreative Künstler tragen dazu bei, zu den bekanntesten gehören außerdem Hazul Luzah mit seinen mystischen Formen und Nuno Costah mit bunten Vögeln und anderen lustigen Figuren. Mit An.fi.tri.ão stammt jedoch nicht nur das größte Kunstwerk von Frederico Draw, auch die Geschichte dahinter ist zweifellos die schönste. Wenngleich sie keiner der Besucher kennt, der über Portos berühmte Brücke kommt und am “Gastgeber” vorbeiläuft.
Frederico Draw – auf einen Blick
Auf seiner Website gibt es weitere Informationen über Frederico Draw und auf Instagram sowie Facebook vor allem Material zu aktuellen Projekten des Künstlers.
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