Auf der Straße hinterlässt er seine Spuren in Form von Street Art, vor allem aber arbeitet Absinth im Atelier. Im Hamburger Popstreet.shop habe ich die Vernissage zu seiner Ausstellung besucht und dabei mit dem Künstler gesprochen. Und natürlich geschaut, wie berauschend die Bilder des Mannes eigentlich sind, der sich so nennt wie das berüchtigte Kräuterdestillat.
“Absinth ist der Hammer”, sagt Stephan Krüll vom Popstreet.shop. Vier Wochen, nachdem es an gleicher Stelle grandiose Pop Art von Maaike Dirkx gab, bin ich zurück im Karolinenviertel, um dem nächsten Highlight beizuwohnen. “Absinth macht richtig gute Kunst”, fügt Stephan, einer der beiden Macher der fabelhaften Galerie, hinzu, “es ist toll, wie filigran und detailgetreu er arbeitet!” Aber was ist das Geheimnis des kreativen Schaffens, sind Absinths Werke womöglich ein Produkt des Rausches? Bizarre Fantasiegestalten, den Wahnvorstellungen des Künstlers entsprungen? Was hat es auf sich mit der kultigen Spirituose, der “Grünen Fee”, die dem Künstler den Namen gibt?
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Die Geschichte des Getränks
Wermut, Anis und Fenchel stecken in Absinth, dazu weitere Kräuter. Meist ist das Getränk daher grün, Chlorophyll verleiht ihm seine Farbe. Ebenfalls charakteristisch ist der hohe Alkoholgehalt von mindestens 45 %, möglich sind sogar bis zu 85 %. Vor allem in Frankreich wurde Absinth zu einem populären Getränk, Mitte des 19. Jahrhunderts hat man das Gebräu dort zur heure verte, also einer “grünen Stunde”, gern gesüffelt. Später jedoch wurde es dann zunächst verboten, das hochprozentige Zeug mache süchtig, es wirke wie eine Droge, das war der Grund. Zum Kreis der bekanntesten Absinth-Anhänger zählen mit Gauguin, Picasso oder van Gogh übrigens berühmte Maler und auch Ernest Hemingway und Edgar Allan Poe waren der Spirituose verfallen. Auffällig also die Beliebtheit des Stöffchens in Schriftsteller- und Künstlerkreisen, kann das Zufall sein?
Volles Haus zur Vernissage
Gut gefüllt ist das Haus beim abendlichen Event im Popstreet.shop und natürlich steht ein Mann im Mittelpunkt: der Illustrator und Street-Art-Künstler Absinth ist mächtig gefragt. So dauert es eine Weile, bis ich mir den Hamburger zum Gespräch schnappen kann. Und erfahre dann, dass der Künstler zwar bereits Mitte der 90er Jahre mit Street Art gestartet war, anschließend jedoch länger pausierte. Seit einigen Jahren erst widmet er sich wieder intensiver künstlerischen Aktivitäten und die aktuellsten Werke sind nun zu bewundern. Um elektrische Nashörner, digitale Göttinnen, mechanische Kaninchen und hedonistische Wunderwesen handele es sich bei den Darstellungen, so die Erläuterung, die dem interessierten Betrachter an die Hand gegeben wird. Ginge es jedoch nach dem Künstler, er würde am liebsten die eigenen Interpretationen der Besucher hören und sich zu diesem Zweck unerkannt unter sie mischen. Nun, dieser Zug ist für heute abgefahren!
Frauen und Tiere als Lieblingsmotive
Die Themen Fortschritt und Digitalisierung stehen im Mittelpunkt von Absinths Arbeit, wobei die Motive dazu seiner eigenen, ganz persönlichen Gedankenwelt entstammen. “Ich male gern Frauen und Tiere”, verrät der Künstler und betont, dass er das in erster Linie für sich selbst macht anstatt sich danach zu richten, was das Publikum möglicherweise sehen will. Wenn es nämlich danach ginge, bräuchte er eigentlich nur Katzen zu malen. “Katzen gehen immer”, sagt er lachend. “Ich hätte aber keine Lust, irgendwelchen Firlefanz zu malen, nur um meine Miete zahlen zu können”, gesteht Absinth und verweist auf seinen Job in der Sozialtherapie, der es ihm gestatte, Phantasie und Kreativität ohne solche äußeren Zwänge freien Lauf zu lassen.
Inspiriert ist Absinth vom Jugendstil, der Kunstbewegung, deren Blütezeit zwischen 1890 und 1910 lag. Einer Richtung, deren charakteristische Elemente dekorativ-fließende Linien, geblümte Ornamente und geometrische Formen sowie die Verwendung symbolischer Figuren sind.
Wie viel Absinth steckt im Künstler?
Eine Frage ist noch offen: wie viel des berauschenden Getränks steckt nun eigentlich in der Arbeit des Hamburger Künstlers? Reiht er sich nahtlos ein in die Riege der Berühmtheiten, die vor mehr als hundert Jahren auf Absinth als stimulierende Droge schworen? Ist womöglich von ähnlich krassen Folgen zu berichten wie beim Lyriker Baudelaire, der meinte, sich im Absinth-Rausch die Haare grün färben zu müssen oder beim Maler-Kollegen van Gogh, der sich gar das Ohr abschnitt?
Um es vorweg zu nehmen, nichts von alledem ist der Fall, Entwarnung ist zu vermelden von der skandalumwitterten Absinth-Front. Denn vergleichsweise banal lautet die Erklärung für das Zustandekommen des Namens. Machen wir einen Sprung nach Amsterdam, wo der junge Absinth, noch nennt er sich nicht so, Ende der 90er Jahre auf Klassenfahrt ist. Internet ist Neuland und vor allem teuer, abgerechnet wird im Viertelstundentakt. Ein Username ist zudem vonnöten, um das Medium in der niederländischen Hauptstadt zu nutzen und, angetan von der Absinth-Reklame im nahen Rijksmuseum, fällt dem jungen Mann die Wahl nicht schwer. Der Künstlername Absinth ist geboren und auch 20 Jahre später wird er ihm noch treu sein.
Entmythologisierung des Getränks
Nachdem das Rätsel um den Namen des Künstlers nun gelöst ist, sollten wir auch dem Geheimnis des mystischen Drinks noch auf den Grund gehen. Erotisierend sei die Wirkung und halluzinogen, heißt es. Und ein Quell der Kreativität sprudele als Folge des Absinthkonsums. Klar, hätten Picasso, van Gogh und die anderen Getränksmänner das Elixier wohl sonst abgeschädelt? Die Wissenschaft macht uns jedoch einen Strich durch die Rechnung, denn längst ist die “grüne Fee” analysiert, bis ins kleinste Detail. Thujon heißt der Stoff, aus dem die Träume sind, zu Halluzinationen führt das Nervengift, bis hin zu Wahnvorstellungen. Nur ist die enthaltene Dosis viel zu niedrig, um diese Wirkung zu entfalten. Fünf Flaschen der hochprozentigen Brühe müsste man dazu nämlich trinken, eine Anforderung, an der selbst ein geübter Spirituosen-Verwerter wie Papa Hemingway sicher gescheitert wäre. Aus, Schluss und vorbei. Entzaubert ist der Mythos namens Absinth!
Neue Ziele des Künstlers Absinth
Ein Dreivierteljahr hat der Künstler an der Vorbereitung der aktuellen Präsentation in Hamburgs Karoviertel gearbeitet und das Ergebnis kann sich sehen lassen. Der Blick richtet sich aber bereits nach vorn, denn schon für den nächsten Sommer ist eine weitere Solo-Ausstellung geplant. Keinen Zweifel lässt Absinth daran, dass die Entwicklung weitergehen wird: “Ich hätte keinen Spaß daran, immer den gleichen Scheiß zu machen.” Einen Stilbruch werde es geben, mit farblichen und grafischen Änderungen. Auf das Ergebnis darf man bereits jetzt gespannt sein, auf frische, neue Werke, angelehnt an den Jugendstil, der damals, vor mehr als hundert Jahren, als jung, modern und originell galt. Eine Beschreibung, wie gemacht auch für die Gegenwart und die Werke des Hamburger Künstlers. Man kann es natürlich auch mit den Worten des Popstreet.shop-Mannes Stephan Krüll sagen: “Absinth ist der Hammer, er macht richtig gute Kunst!”.
Absinth – der Künstler auf einen Blick
- Internet: zu finden ist Absinth bei Instagram und bei Facebook.
- Ausstellung: “Ragnarök Bitch Inferno”, lief bis Mitte September 2018 in der Galerie Popstreet.shop, Glashüttenstraße 105, Karolinenviertel / St. Pauli (Öffnungszeiten: Dienstag – Freitag 12–19 Uhr, Samstag 12–18 Uhr). Ein Besuch dort lohnt immer – für alle, die interessiert sind an Street Art, Pop Art oder Urban Art.
Toller Artikel! Ich war auch auf der Vernissage aber eher später, schade!
Bis auf bald. Grüße Maaike
Merci, Maaike! 😘