Momentaufnahme in der City von Porto: Schauplatz ist eine Seitenstraße, nur wenige Meter abseits der üblichen Touristenwege. Hier arbeitet Artur Oliveira, seit vielen Jahrzehnten. Er ist ein torneiro de madeira, wie die Portugiesen sagen. Eine Begegnung in der Rua Conde de Vizela führt zur Geschichte vom “único torneiro”, dem letzten Drechsler von Porto.
Sägespäne fliegen durch die Luft. Mein neugieriger Blick fällt in einen kleinen Raum, in dem auch der Boden von den hölzernen Flocken bedeckt ist und der Putz von den Wänden bröckelt. Ein alter Mann arbeitet konzentriert an seiner Werkbank, scheint mich zunächst gar nicht wahrzunehmen.
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Einsame Straße im Herzen von Porto
Tagsüber ist die Rua Conde de Vizela nahezu menschenleer. Schwer vorstellbar, dass es nur wenige Meter sind bis zu einigen der beliebtesten Touristen-Hotspots Portos. Die verwaiste Seitenstraße, welch ein Kontrast zum Trubel rund um die begehrten Sehenswürdigkeiten ganz in der Nähe! Altes Kopfsteinpflaster dient als Straßenbelag, an einigen Hauswänden haften Azulejos, die typisch portugiesischen Keramikfliesen. Einzelne Gebäude sind verlassen, zerbrochenes Fensterglas oder komplett fehlende Scheiben sprechen eine deutliche Sprache. Aber auch das blaue Kürzel “AL” (für Alojamento Local) prangt an manchen Türen: Hier wiederum wurde renoviert und im Inneren dieser Herbergen, den Apartments, Lofts oder Studios, wird es ganz sicher schick und sauber sein.
Verruchtes und buntes
Die Türen vom “Life Strip Club” sind noch verschlossen, um 23 Uhr erst öffnet sich die Pforte für Gäste, das ist noch viele Stunden hin. Und während das Etablissement einen Hauch Verruchtheit in die Rua Conde de Vizela bringt, sorgen Portos Street-Art-Künstler an anderer Stelle für den einen oder anderen Farbtupfer in der sonst grauen Gasse. Skurrile Figuren und Körperteile sind typisch für Francisco Fonseca (Instagram), Hugo Sousa aka aiem (Instagram) hat ein charakteristisches Alien hinterlassen und auch ein paar lustige Gestalten von Costah (Instagram) sind zu finden.
Besuch bei Artur Oliveira
Beinahe schon wäre ich weitergegangen, will den alten Mann schließlich nicht stören in seiner Konzentration, als er plötzlich aufblickt und mich freundlich lächelnd hereinwinkt. Ich mache ihm klar, dass wir kaum miteinander sprechen können, wie schade! Mangelt es mir doch an den notwendigen Sprachkenntnissen. Als ob Artur Oliveira, noch kenne ich seinen Namen ja nicht, damit gerechnet hätte, deutet er sogleich auf einen säuberlich eingerahmten Zeitungsartikel. Auf Portugiesisch zwar, doch einiges an Fakten wird daraus trotzdem klar. Und der Rest dann eben später in Ruhe übersetzt. So weiß ich jetzt auch den Namen des fleissigen Mannes und sein Alter ebenfalls. Stolze 87 Jahre zählt der “único torneiro do Porto”.
“Hop-on Hop-off” in der Nachbarschaft
Die Rua Conde de Vizela führt mitten durch eines der angesagtesten Viertel von Porto. Durch ein touristisches Bermudadreieck sozusagen. Gebildet aus dem Bahnhof, der Estação de São Bento, wo mehr als 20.000 Azulejos zu bewundern sind. Gleich daneben die belebte Praça da Liberdade mit der Statue von König Dom Pedro IV. sowie der angeblich schönsten McDonald´s‑Filiale der Welt. Auch Busse fahren von dort, gelbe, blaue und rote – “Hop-on Hop-off” ist dabei das Stichwort. Die Rua dos Clérigos führt von hier hinauf zum Torre, dem Turm der Kirche gleichen Namens, der Igreja dos Clérigos. Von wo es dann, last but not least, auch nicht mehr weit ist bis zur berühmten Buchhandlung Livraria Lello, vor der sich selbst bei Regenwetter oft lange Schlangen bilden. Nur die Rua Conde de Vizela lassen die Leute links liegen. Die verlassene Straße bildet eine Schneise inmitten der regen Geschäftigkeit rund um die beliebtesten Sehenswürdigkeiten von Porto!
Der letzte Drechsler von Porto
Vor beinahe einhundert Jahren schon, 1925 nämlich, hat der Vater die kleine Werkstatt in der Rua Conde de Vizela 88 bezogen. Und den jungen Artur bereits im zarten Alter von 11 Jahren mit der Handwerkskunst vertraut gemacht. Die übt er nun bis heute aus und nichts auf der Welt könne ihn dazu bringen, seine Tätigkeit aufzugeben. Selbst wenn man ihm Millionen böte, er würde das Geld ausschlagen, gesteht der inzwischen alte Mann, der regelmäßig von Montag bis Freitag seiner geliebten Arbeit nachgeht, immer von 8:40 Uhr bis 19:30 Uhr. Früher habe es in Porto auch noch andere Drechsler gegeben, mittlerweile ist er der einzige, der letzte seiner Zunft also. Die Leute wüssten seine Arbeit zu schätzen, kämen mit den unterschiedlichsten Wünschen zu ihm. Nur zu gern hätte ich Artur Oliveira das alles selbst gefragt, und einiges mehr. Muss stattdessen aber das, was ich nun weiß, dem von ihm so sorgfältig aufbewahrten Zeitungsartikel entnehmen.
Als eine Frau aus der Nachbarschaft in die Werkstatt hereinschaut, unterbricht Artur kurz die Arbeit, um sich jedoch gleich darauf wieder seiner Leidenschaft zuzuwenden. Als ich anschließend den Raum verlasse, nimmt er mich dann tatsächlich nicht mehr wahr. Es wirkt so, als wolle er keine Zeit vergeuden. Artur Oliveira, der letzte Drechsler von Porto, 87 Jahre alt. Mindestens. Eher älter, denn ich weiß nicht einmal, von wann die Zeitung ist, aus der ich auch diese Angabe habe.
Artur Oliveira – auf einen Blick
- Die Adresse lautet: Rua Conde de Vizela 88, 4050–639 Porto
- Einige weitere Impressionen aus der Welt des Handwerkers finden sich auf der portugiesischen Seite Saber Fazer.
Hallo Wolfgang,
genau solche Menschen suche ich auch immer für meinen Italien-Blog. Toller Artikel und ein faszinierender Mann!
Viele Grüße aus Salzburg
Elena
Lieben Dank, Elena! 😉
Das ist ja eine spannende Geschichte! Ich finde es in solchen Momenten total schade, dass ich in Fremdsprachen eine totale Niete bin und die Landessprache nicht kann…
Lieben Dank, Gudrun! 😉 Dann weißt Du ja, wie es mir ebenfalls geht, ich wäre da auch gern noch fleissiger, talentierter oder was auch immer …
Eine wirklich sehr schöne Geschichte! So was lese ich sehr gerne. Besonders schön finde ich, dass er obwohl er 87 (oder älter…) Jahre alt ist immer noch jeden Tag zur Arbeit geht. Kein Jammern, sondern ein glücklicher und zufriedener Mann mit seiner Arbeit im Handwerk. 🙂
Danke, Tanja! 😉 Allerdings …
Ihn habe ich auch getroffen – ich war am Ende September in Porto und habe überlegt, ob ich überhaupt in meinem Blog was darüber posten werde. Habe entschieden, ja, werde ich, aber werde ich auch die Sittlichkeit offen fragen.
Ich habe ein paar Details im Internet nachgeschaut, und jetzt siehe ich – ich bin nicht der einzige, der das Thema überlegt und den Artur getroffen hatte!
Es freut mich, dass Artur Oliveira noch mehr Aufmerksamkeit bekommt! 😀