Nanas von Niki de Saint Phalle am Leineufer, Hannover.
Deutschland

Geschichten aus Hannover | Von Fußball, Frost & Frühlingswald

Schnee liegt wie ein wei­ßer Tep­pich über der Stadt. Es ist Win­ter in Han­no­ver. Ein Streif­zug durch ver­trau­tes Ter­rain. Sight­see­ing in mei­ner Hei­mat mit Geschich­ten um inter­es­san­te Orte – eini­ge bekannt und ande­re weni­ger. Ergeb­nis: ein han­nö­ver­scher Bil­der­bo­gen, geeig­net auch als klei­ner Stadt­füh­rer, und das nicht nur im Winter.

Bar­bu­si­ge Meer­jung­frau­en und grim­mig drein­bli­cken­de See­unge­heu­er, was für ein wun­der­li­cher Blick­fang! Die ver­wit­ter­ten grün­lich-schwar­zen Figu­ren zie­ren die Königs­wor­t­her Brü­cke, die über die Lei­ne führt. Sie bil­den vier Säu­len, die ganz oben jeweils in drei Later­nen­ar­me ver­zwei­gen. Ein Künst­ler aus der Regi­on hat die Kan­de­la­ber mit den Fabel­we­sen im Jahr 1898 gestal­tet und inzwi­schen steht die Brü­cke kom­plett unter Denk­mal­schutz. War­um ich gera­de hier mei­nen Foto­walk durch das win­ter­li­che Han­no­ver star­te? Es ist nahe­lie­gend, denn ich woh­ne hier. In der Calen­ber­ger Neu­stadt, weni­ge Meter von der pracht­vol­len Brü­cke ent­fernt, die ver­mut­lich kein Rei­se­füh­rer erwähnt, obgleich sie ganz sicher die schöns­te in der gan­zen Stadt ist.

Winter in Hannover. Kandelaber auf der Königsworther Brücke, Königsworther Straße.
Kan­de­la­ber auf der Königs­wor­t­her Brücke

Salsa und Woodstock am Ihmeufer

Hin­ter der Brü­cke bie­ge ich ab, ver­las­se die wei­ter nach Lin­den füh­ren­de Königs­wor­t­her Stra­ße und fol­ge dem Wed­di­gen­ufer. Ein far­ben­fro­her Aus­hang gibt bei Carib­be­an Dance Sal­sa Aus­kunft über das Ange­bot der kuba­ni­schen Tanz­schu­le. Kari­bi­sche Rhyth­men und hei­ßer Tanz als Kon­trast­pro­gramm bei eisi­gen Tem­pe­ra­tu­ren? Nun ja, war­um nicht? Ein Hauch von Wood­stock weht weni­ge Meter wei­ter über die Wie­se am Was­ser. So wird es jeden­falls Anfang August wie­der sein, wenn hier und auf der ande­ren Sei­te des Flus­ses das Fähr­manns­fest statt­fin­det. Drei Tage dau­ert das alter­na­ti­ve Musik- und Kul­tur­fes­ti­val, es ist das größ­te in der Regi­on Hannover.

Winter in Hannover. Strandbar Strandleben am Zusammenfluss von Ihme und Leine.
Strand­bar Strand­le­ben am Zusam­men­fluss von Ihme und Leine

Jetzt aber ist das schnee­be­deck­te Are­al ver­waist und die rote Far­be der Strand­bar mit dem pas­sen­den Namen Strand­le­ben bil­det einen leuch­ten­den Kon­trast inmit­ten der wei­ßen Win­ter­land­schaft. Bald wer­den hier, wo Ihme und Lei­ne zusam­men­flie­ßen, wie­der Son­nen­hung­ri­ge in Lie­ge­stüh­len chil­len, wäh­rend auf dem Grün­strei­fen neben­an gegrillt, geknutscht oder gekifft wird. Direkt gegen­über, auf der ande­ren Sei­te des Flus­ses, ragt der Turm der ehe­ma­li­gen Bett­fe­dern­fa­brik in den Him­mel. Das restau­rier­te Kes­sel­haus ist ein Relikt aus der Zeit, als Lin­den noch eine Indus­trie­stadt vor den Toren Han­no­vers war.

Winter in Hannover. Kesselhaus der ehemaligen Bettfedernfabrik in Linden.
Blick hin­über zum Kes­sel­haus der ehe­ma­li­gen Bettfedernfabrik

Das Indus­trie­denk­mal ist inzwi­schen ein Wahr­zei­chen des Stadt­teils, der erst vor knapp 100 Jah­ren nach Han­no­ver ein­ge­mein­det wur­de. Hin und wie­der kann die ein­drucks­vol­le Anla­ge auch besich­tigt wer­den, etwa wäh­rend des Denk­mal­ta­ges in Han­no­ver.

Pizza und Kultur im Lindener Industriedenkmal

Sei­ten­wech­sel. Die Jus­tus-Gar­ten-Brü­cke führt mich hin­über auf die ande­re Sei­te der Ihme. Vor­bei am ehe­ma­li­gen Indus­trie­ge­län­de, das neben dem erwähn­ten Kes­sel­haus noch mehr zu bie­ten hat: unter dem etwas mar­tia­lisch anmu­ten­den Namen Faust ist hier eines der größ­ten han­no­ver­schen Kul­tur­kon­zep­te zu Hau­se, mit künst­le­ri­schen, sozia­len und poli­ti­schen Pro­jek­ten. Als Ver­an­stal­tungs­zen­trum steht Faust zudem für Kon­zer­te, Dis­co und Café, Kult­cha­rak­ter hat der Piz­zala­den Günes und der jetzt im Win­ter natür­lich geschlos­se­ne Bier­gar­ten Gret­chen mit sei­nem rus­ti­kal-gemüt­li­chen Charme ist der schöns­te sei­ner Art in Han­no­ver. Fans von Street Art kom­men eben­falls auf ihre Kos­ten, auf dem Gelän­de ist aller­lei bun­tes zu ent­de­cken. Ganz schön viel­sei­tig also, die­ses Kul­tur­zen­trum Faust, im Übri­gen die Abkür­zung für Fabrikum­nut­zung und Stadtteilkultur.

Winter in Hannover. Street Art an Garagentor in Linden.
Bun­te Vögel an Lin­de­ner Gara­gen­tor – ein Farb­tup­fer im Schnee

Nur kurz ist mein Abste­cher Rich­tung Lin­den, nach weni­gen hun­dert Metern wech­se­le ich erneut die Sei­te. Über die Dorn­rös­chen­brü­cke geht es zurück, sie ver­bin­det Lin­den mit den Her­ren­häu­ser Gär­ten sowie der Nord­stadt und somit auch der Leib­niz Uni­ver­si­tät.

Herri und Gemüseschlacht auf Dornröschenbrücke

In den wär­me­ren Mona­ten ist die Brü­cke mit dem mär­chen­haf­ten Namen ein kul­ti­ger Treff­punkt, dann wird als Sun­dow­ner hier Gers­ten­saft aus der Regi­on, Her­ren­häu­ser, kurz nur Her­ri genannt, ver­kos­tet. Ein­mal im Jahr aber mutiert der sonst eher beschau­li­che Ort zum Schau­platz einer wil­den Schlacht. Wenn Lin­de­ner auf Nord­städ­ter von gegen­über tref­fen, dient fau­les Obst und gamm­li­ges Gemü­se als Waf­fe (Foto­stre­cke). Nun hat das glit­schi­ge Gemet­zel zwi­schen den Riva­len zuletzt zwar zwei­mal nicht statt­ge­fun­den, aber viel­leicht kommt es ja in die­sem Jahr zur Neu­auf­la­ge der tra­di­tio­nel­len Gemüseschlacht.

Wilhelm-Busch-Museum, Hannover, im winterlichen Georgengarten.
Wil­helm-Busch-Muse­um im win­ter­li­chen Georgengarten

Die Bil­der­ge­schich­ten von Max und Moritz gehö­ren zu den berühm­ten Wer­ken Wil­helm Buschs. Der Urva­ter des moder­nen Comics stammt aus dem Schaum­bur­ger Land, west­lich von Han­no­ver. Und auch wenn es den Dich­ter und Zeich­ner gele­gent­lich in die Fer­ne zog, so ist er anschlie­ßend doch immer wie­der ins hei­mi­sche Nie­der­sach­sen zurück­ge­kehrt. An der han­no­ver­schen Leib­niz Uni, nur weni­ge hun­dert Meter ent­fernt, hat er stu­diert und nun steht das nach dem berühm­ten Mann benann­te Wil­helm-Busch-Muse­um hier im Geor­gen­gar­ten. Wil­helm Busch – Deut­sches Muse­um für Kari­ka­tur und Zei­chen­kunst, so lau­tet der eigent­li­che Name. Eine bedeu­ten­de Samm­lung von Arbei­ten des Meis­ters und dazu wech­seln­de Aus­stel­lun­gen ande­rer Künst­ler machen das Geor­gen­pa­lais zu einem von vie­len inter­es­san­ten Muse­en Han­no­vers.

Winter in Hannover. Leibniztempel im Georgengarten.
Zwi­schen schnee­be­deck­ten Zwei­gen im Geor­gen­gar­ten: der Leibniztempel

Winterlandschaft im Georgengarten

Der Geor­gen­gar­ten ist eine gro­ße Park­an­la­ge mit weit­läu­fi­gen Rasen­flä­chen. Eine grü­ne Oase, jetzt aller­dings mit einer dich­ten Schnee­de­cke über­zo­gen. Weni­ge hun­dert Meter wei­ter sorgt der baro­cke Gro­ße Gar­ten sicher auch jetzt im Win­ter für inter­es­san­te Moti­ve. Die Anla­ge aus dem 17. Jahr­hun­dert, eben­so wie der Geor­gen­gar­ten gehört sie zu den Her­ren­häu­ser Gär­ten, zählt zu den bedeu­tends­ten ihrer Art in Euro­pa. Und im nahen Berg­gar­ten locken neben exo­ti­schen Plan­zen sogar wär­me­re Tem­pe­ra­tu­ren. Ich aber habe ande­re Ideen für die Fort­set­zung mei­ner Exkur­si­on durch das win­ter­li­che Hannover.

Winter in Hannover. Winterstimmung im Georgengarten.
Win­ter­stim­mung im Geor­gen­gar­ten von Hannover

Über die Her­ren­häu­ser Alle, sie durch­zieht den Geor­gen­gar­ten auf einer Län­ge von fast zwei Kilo­me­tern, geht es in die ent­ge­gen­ge­setz­te Rich­tung. Weg von den Her­ren­häu­ser Gär­ten, die zu Han­no­vers bekann­tes­ten Sehens­wür­dig­kei­ten zäh­len, zum Königs­wor­t­her Platz. Hier wäre ich jetzt wie­der zu Hau­se und könn­te die Käl­te gegen die hei­mi­sche war­me Woh­nung ein­tau­schen. Ein ver­füh­re­ri­scher Gedan­ke, den ich jedoch schnell ver­wer­fe, denn ich möch­te noch wei­te­re Impres­sio­nen der ver­schnei­ten Stadt einfangen.

Hannover im Winter. Schneebedeckte Herrenhäuser Allee.
Win­ter­li­che Her­ren­häu­ser Alle

Nikis dralle Damen

Ich fol­ge der Brühl­stra­ße, die wenig spä­ter in das Leib­ni­zu­fer über­geht. Und wäh­rend sich dort lin­ker­hand die Alt­stadt befin­det, sind direkt an der Stra­ße, also am Leine­ufer, eini­ge bun­te Plas­ti­ken nicht zu über­se­hen. Die Nanas, drei dral­le Damen, für die Niki de Saint Phal­le, eine Künst­le­rin mit fran­zö­si­schen und US-ame­ri­ka­ni­schen Wur­zeln ver­ant­wort­lich ist. Sams­tags fin­det hier, auf bei­den Ufer­sei­ten, der han­no­ver­sche Floh­markt statt, er ist der ältes­te in Deutsch­land. Die far­ben­fro­hen Figu­ren wur­den 1974 auf­ge­stellt, das nahe Nie­der­sach­sen­sta­di­on war im sel­ben Jahr ein Schau­platz der Fuß­ball-Welt­meis­ter­schaft. Fuß­ball hat Tra­di­ti­on in Han­no­ver, min­des­tens seit 1896, und auch, wenn es um sol­che Groß­ereig­nis­se geht, ist die nie­der­säch­si­sche Lan­des­haupt­stadt stets dabei. 32 Jah­re spä­ter soll­te Han­no­ver wie­der zu den Aus­tra­gungs­or­ten einer WM gehö­ren, Som­mer­mär­chen ist das Stichwort.

Nanas in Hannover. Ein Wahrzeichen der Stadt.
Die Nanas gehö­ren zu Han­no­vers Wahrzeichen

“Special feeling” für Hannover

Aber zurück zum aktu­el­len Win­ter­mär­chen und zu den schnee­be­deck­ten Nanas. Gehö­ren die skur­ri­len Figu­ren inzwi­schen zu den Wahr­zei­chen der Stadt, gab es damals, 1974, noch einen gehö­ri­gen Auf­schrei ob die­ser Art von Kunst und eine Bür­ger­initia­ti­ve sam­mel­te eilig tau­sen­de von Stim­men gegen die pro­vo­kan­ten bun­ten Wei­ber. Niki de Saint Phal­le, die krea­ti­ve Femi­nis­tin, Welt­bür­ge­rin zwi­schen New York und Paris, dürf­te es amü­siert haben, wie klein­ka­riert die selbst­er­nann­ten han­nö­ver­schen Moral­apos­tel auf ihr Werk reagierten.

Nanas, Kunst am Leinener in Hannover.
Eine der Nanas, in den 1970er-Jah­ren für vie­le ein Ärgernis

Nun waren wohl die 1970er-Jah­re aber auch noch eine ande­re Zeit, ein wei­te­rer kurio­ser Fakt macht es deut­lich: tat­säch­lich noch bis 1978 wur­de Adolf Hit­ler als Ehren­bür­ger Han­no­vers geführt, dann erst wur­de der Ober­na­zi aus der Lis­te end­lich aus­ra­diert. Zur Ehren­bür­ge­rin wur­de auch Niki de Saint Phal­le, mit vol­lem Namen eigent­lich Cathe­ri­ne Marie-Agnès Fal de Saint Phal­le, spä­ter ernannt. Näm­lich im Expo-Jahr 2000, Han­no­ver war Schau­platz der Welt­aus­stel­lung. “I have a very spe­cial fee­ling for Han­no­ver”, so bekun­de­te die Künst­le­rin ihre beson­de­re Bezie­hung zu der Stadt, aus der ihre Nanas inzwi­schen nicht mehr weg­zu­den­ken sind, urba­ne Kunst ist längst salon­fä­hig geworden.

Holzmarktbrunnen (Oskar-Winter-Brunnen) in Hannovers winterlicher Altstadt.
Holz­markt­brun­nen in Han­no­vers win­ter­li­cher Altstadt

Nach­hol­be­darf hat man in Han­no­ver jedoch offen­sicht­lich noch in ande­rer Hin­sicht: Niki de Saint Phal­le, 2002 in San Die­go ver­stor­ben, war sei­ner­zeit die ers­te Frau, der die Ehren­bür­ger­schaft ange­tra­gen wur­de. Auch im Jahr 2018 ist sie noch immer die einzige!

Stippvisite in der Altstadt

Ein Abste­cher auf die ande­re Sei­te der Lei­ne zeigt mir schließ­lich auch die Alt­stadt von ihrer win­ter­li­chen Sei­te. Ein kur­zer Blick auf die Fach­werk­häu­ser und auf die Markt­kir­che, der Back­stein­bau lugt zwi­schen schnee­be­deck­ten Dächern her­vor. Der Turm der Kir­che gehört zu den inter­es­san­tes­ten Foto­spots, um die Lan­des­haupt­stadt von oben zu bewun­dern und um einen sol­chen han­delt es sich auch beim Neu­en Rat­haus, von hier sind es von nur weni­ge hun­dert Meter dorthin.

Altstadt von Hannover. Schneebedeckte Fachwerkhäuser und Marktkirche.
Schnee­be­deck­te Dächer in der Alt­stadt von Han­no­ver, dazwi­schen die Marktkirche

Das schloss­ar­ti­ge Bau­werk zählt zu den belieb­tes­ten Tou­ris­ten­at­trak­tio­nen und der Aus­blick von der Rat­haus­kup­pel ist fan­tas­tisch. Aus knapp 100 Metern Höhe lässt sich die Stadt über­bli­cken, inklu­si­ve des Maschsees natür­lich und der Eilen­rie­de, des größ­ten Stadt­wal­des in Euro­pa, er ist bei­na­he dop­pelt so groß wie der Cen­tral Park von New York. Auf sei­ner Süd­sei­te ist das ohne­hin äußerst foto­ge­ne Neue Rat­haus in den jetzt schnee­wei­ßen Maschpark ein­ge­bet­tet, jedoch stellt sich her­aus, ich bin nicht up to date. Die hin­te­re Fas­sa­de des mäch­ti­gen Gebäu­des offen­bart sich näm­lich als Bau­stel­le mit Gerüst und wei­ßen Pla­nen. Die Absicht, das ansons­ten präch­ti­ge Objekt foto­gra­fisch in Sze­ne zu set­zen, ist so natür­lich ein­ge­schränkt, zu sehr ist die Attrak­ti­vi­tät beeinträchtigt.

Hannovers Kunstskandal der 1970er-Jahre

So geht es ein paar Schrit­te wei­ter, zum Maschsee, zu des­sen nörd­li­chem Ufer, wo ein wei­te­res Kunst­werk mit “1970er-Jah­re-Ver­gan­gen­heit” zu fin­den ist.

Neu­es Rat­haus, ein­ge­bet­tet in den win­ter­lich wei­ßen Maschpark.

Hel­le­bar­dier lau­tet der Name der stäh­ler­nen Skulp­tur mit der auf­fäl­lig roten Far­be. Nun ist ein Hel­le­bar­dier eigent­lich ein mit einer mit­tel­al­ter­li­chen Waf­fe, eben einer Hel­le­bar­de, aus­ge­stat­te­ter Kämp­fer. Was es mit die­sem Recken auf sich hat? Den Künst­ler kann man nicht mehr zur Idee sei­nes Wer­kes befra­gen, der ist 1976 ver­stor­ben, vier Jah­re nach Auf­stel­lung des abs­trak­ten Gebil­des. Stand­ort des Kunst­werks war übri­gens zunächst der Opern­platz, von wo es jedoch bald wie­der ent­fernt wer­den muss­te. Grund waren mas­si­ve Pro­tes­te der Öffent­lich­keit, das damals offen­bar ziem­lich spie­ßi­ge Han­no­ver hat­te einen hand­fes­ten Kunst­skan­dal. Zwei Jah­re spä­ter soll­te er sei­ne Fort­set­zung fin­den, womit wir wie­der bei den bun­ten Nanas wären.

Winter in Hannover. Der Hellebardier, auch Guadeloupe genannt, im Hintergrund das Neue Rathaus.
Der Hel­le­bar­dier, auch Gua­de­lou­pe genannt, im Hin­ter­grund das Neue Rathaus

Dicke Luft bei Hannover 96

Über dem Sta­di­on auf der ande­ren Sei­te des Maschsees hän­gen dunk­le Wol­ken. Trotz blau­en Him­mels. Denn unge­ach­tet sport­li­cher Erfol­ge gibt es Zoff. Was ist da los? Ste­fan Sche­rer, Rechts­an­walt und Notar, ist dicht dran am The­ma, ganz im Gegen­satz zu mir, denn ich bin ja meist irgend­wo in der Welt­ge­schich­te unter­wegs. Ihn habe ich daher zu den Grün­den befragt. Es gehe um den Prä­si­den­ten und gleich­zei­ti­gen Inves­tor Mar­tin Kind. Der wol­le den Pro­fi­fuß­ball, also das Kern­stück von Han­no­ver 96, für sich und sei­ne Erben, womit er alle ande­ren zu pas­si­ven Kon­su­men­ten sei­nes Pro­dukts mache. Dabei gebe es vie­le Men­schen, die als Ver­eins­mit­glied ein Teil von 96 blei­ben möch­ten, um sich zu enga­gie­ren, mit­zu­dis­ku­tie­ren und abzu­stim­men. Und genau des­we­gen habe sich eine brei­te Oppo­si­ti­on gebil­det, unter­stützt von Men­schen aus allen Alters­grup­pen und sozia­len Schichten.

HDI Arena, Hannover. Das hannoversche ehemalige Niedersachsenstadion auf der anderen Seite des zugefrorenen Maschsees.
Die Fuss­ball­are­na auf der ande­ren Sei­te des zuge­fro­re­nen Maschsees

Und was sind die kon­kre­ten Vor­wür­fe gegen den Prä­si­den­ten Kind? Ste­fan berich­tet, dem Ver­ein sei­en Ver­mö­gens­wer­te ohne ange­mes­se­ne Gegen­leis­tung ent­zo­gen wor­den. Umfang­rei­cher Immo­bi­li­en­be­sitz etwa und die Mar­ken- und Namens­rech­te. Außer­dem lie­ßen unde­mo­kra­ti­sches Ver­hal­ten und Geheim­nis­krä­me­rei Zwei­fel an der Red­lich­keit der han­deln­den Per­so­nen auf­kom­men. Und was will die Oppo­si­ti­on errei­chen, was ist das Ziel? Im Ver­ein müs­se ein Auf­sichts­rat instal­liert wer­den, der sei­ne Kon­troll­auf­ga­ben auch tat­säch­lich wahr­neh­me. Die Namens– und Mar­ken­rech­te müss­ten wie­der dem Ver­ein gehö­ren und Trans­pa­renz, Wert­schät­zung, Demo­kra­tie und Gleich­be­rech­ti­gung wie­der zu wich­ti­gen Punk­ten wer­den, erk­läu­tert Ste­fan Scherer.

Winter in Hannover. Golden Retriever in hannoverscher Schneelandschaft.
Begeg­nung: der Vier­bei­ner fühlt sich im han­nö­ver­schen Win­ter “pudel­wohl”

Wohin kann die Rei­se also gehen für die Roten, wie die Fuß­bal­ler von Han­no­ver 96, Deut­scher Meis­ter 1938 und 1954 sowie Pokal­sie­ger 1992, tra­di­tio­nell genannt wer­den? “Ich bin über­zeugt davon, dass ein von sei­nen Mit­glie­dern getra­ge­ner und von sei­nen Füh­rungs­per­sön­lich­kei­ten demo­kra­tisch und trans­pa­rent geführ­ter Tra­di­ti­ons­ver­ein eine sport­lich und wirt­schaft­lich posi­ti­ve Zukunft hat – und dazu nicht in das Pri­vat­ei­gen­tum eines Unter­neh­mers über­ge­hen muss” sagt Ste­fan Sche­rer, der Rechts­an­walt und Notar, der sich selbst an unter­schied­li­chen Fron­ten für die gute Sache enga­giert. Und dann wer­de der Ver­ein Han­no­ver 96 auch über­re­gio­nal wie­der posi­tiv wahr­ge­nom­men und für wirk­li­che Spon­so­ren als Image­trä­ger inter­es­sant, denn der­zeit sei die Außen­wahr­neh­mung ver­hee­rend. Man darf also gespannt sein.

Benno-Ohnesorg-Brücke, Hannover. Blick vom Ihmeufer.
Blick vom Ihmeu­fer auf die Benno-Ohnesorg-Brücke

Es bleibt fest­zu­hal­ten, Fuß­ball ist ein wich­ti­ges The­ma in Han­no­ver und kein Zwei­fel, zur­zeit wird die Fan­see­le gehö­rig mal­trä­tiert. Unter­des­sen umrun­de ich die inzwi­schen moder­ne, 1954 als Nie­der­sach­sen­sta­di­on fer­tig­ge­stell­te und spä­ter umge­bau­te Sport­stät­te. Es ist Zeit, an das Ende des win­ter­li­chen Spa­zier­gangs zu den­ken, arsch­kalt ist mir mitt­ler­wei­le näm­lich. An der Ihme geht es zurück, der Weg am Fluss ent­lang führt mich vom Sta­di­on fast direkt bis nach Hau­se. Zunächst aber unter der Ben­no-Ohnes­org-Brü­cke hin­durch, die von der Calen­ber­ger Neu­stadt hin­über nach Lin­den führt.

Capitol und Street Art an der Ihme

Was hat es mit dem Namens­ge­ber auf sich? Ohnes­org stu­dier­te in Ber­lin und wur­de 1967 wäh­rend einer Demo gegen den Schah-Besuch von der Poli­zei erschos­sen. Ein geziel­ter Schuss, anschlie­ßen­de Mani­pu­la­tio­nen an der Lei­che und spä­te­re Ver­tu­schung durch die Poli­zei: der dra­ma­ti­sche Vor­fall liest sich wie ein schlech­ter Kri­mi. Tat­säch­lich war er ein wesent­li­cher Impuls für die Aus­wei­tung der dama­li­gen Stu­den­ten­be­we­gung. Der Tod des Han­no­ve­ra­ners Ben­no Ohnes­org trug dazu bei, das Land zu ver­än­dern. Die 1960er-Jah­re, was für eine Zeit!

Capitol-Hochhaus, Hannover, denkmalgeschützter Backsteinbau aus den 1920er-Jahren.
Back­stein­bau Capi­tol-Hoch­haus an der Ihme

Hin­ter der Brü­cke, auf der ande­ren Sei­te der Ihme, ver­langt ein mar­kan­ter Back­stein­bau nach Auf­merk­sam­keit. Frü­her Hei­mat eines Kinos, beher­bergt das unter Denk­mal­schutz ste­hen­de Capi­tol-Gebäu­de jetzt ein Ver­an­stal­tungs­zen­trum. Der auf­merk­sa­me Blick för­dert noch ein inter­es­san­tes Detail zuta­ge: ein Mural, das an einen legen­dä­ren Künst­ler erin­nert. Etwa ein ech­ter Bank­sy in Hannover?

Street Art in Hannover. Das Mural am Capitol-Gebäude in Linden erinnert an den legendären Banksy.
Mural am Capitol-Gebäude

Wei­ter geht es Rich­tung Hei­mat. Aber halt, ein kur­zer Abste­cher muss noch sein. Recht­erhand, auf dem Gelän­de des Unab­hän­gi­gen Jugend­zen­trums Glock­see, gibt es eben­falls Street Art zu bewun­dern. An den Mau­ern hier darf näm­lich legal gesprayt oder gepin­selt wer­den, vie­le bun­te und krea­ti­ve Kunst­wer­ke sind das Ergeb­nis. Und auch wenn ich hier in mei­ner Nach­bar­schaft schon so man­ches Mal spio­niert habe, ein paar aktu­el­le Fotos müs­sen sein, denn es es gibt oft etwas neu­es zu ent­de­cken. Jedoch ein mühe­vol­les Unter­fan­gen mitt­ler­wei­le, die klam­men Fin­ger sind nicht mehr ganz wil­lig nach ein paar Stun­den in der Kälte.

UJZ Glocksee Hannover. Street Art von Olf & Lupin.
Kunst am Gebäu­de des UJZ Glocksee

Bunte Bommeln am Küchengarten

Ein aller­letz­ter Schwenk führt mich zum Lin­de­ner Küchen­gar­ten. Statt näm­lich vom Ihmeu­fer rechts in die Königs­wor­t­her Stra­ße abzu­bie­gen, wäh­le ich den Weg zur ande­ren Sei­te, über die Spin­ne­rei­brü­cke. Und bewun­de­re das far­ben­fro­he Bild, das sich an den Bäu­men zwi­schen Ihme­zen­trum, einem rie­si­gen Beton­klotz aus den 1970er-Jah­ren, und dem Heiz­kraft­werk Lin­den bie­tet. Unzäh­li­ge bun­te Bom­meln hän­gen an den Zwei­gen. Sie sei ziem­lich bekannt, erfah­re ich spä­ter von Man­sha Fried­rich, der Künst­le­rin, die ihrem Werk den pas­sen­den Namen Früh­lings­wald ver­passt hat. Ich jedoch muss geste­hen, ich kann­te weder Man­sha bis­her, noch war mir Yarn Bom­bing ein Begriff, so näm­lich lau­tet die Bezeich­nung für das Stri­cken als Kunst­form im öffent­li­chen Raum.

Street Art in Hannover. "Frühlingswald im Winter" von Mansha Friedrich am Lindener Küchengarten, im Hintergrund die Warmen Brüder.
“Früh­lings­wald im Win­ter”, Street Art vor der Kulis­se der War­men Brüder

Etwas Far­be wol­le sie nach Lin­den brin­gen, wo die Ber­li­ne­rin mitt­ler­wei­le auch zu Hau­se ist. Den Platz zwi­schen Ihme­zen­trum und den War­men Brü­dern, so wer­den die drei Tür­me des Heiz­kraft­wer­kes gegen­über lie­be­voll genannt, habe sie bewusst gewählt, erzählt Man­sha, denn er sei ein belieb­ter Treff­punkt ganz unter­schied­li­cher Leu­te. Als Schwarm­kunst habe sie das Pro­jekt umge­setzt, sie mag es, mit ande­ren Men­schen zusam­men­zu­ar­bei­ten und die­se für ihre Kunst zu begeis­tern. Auch die Kröp­cke-Uhr, ein bekann­ter Treff­punkt in der han­no­ver­schen City, und die Cle­men­ti­nen­kir­che wur­den auf die­se Wei­se schon von ihr ein­ge­strickt. Man darf also gespannt sein, was sie als nächs­tes im Schil­de führt. Man­sha Fried­rich, die Yarn-Bom­berin, die frü­her als ein­zi­ge Frau in Deutsch­land auch Graf­fi­ti gesprüht hat.

Winter in Hannover. Frühlingswald, Kunst am Lindener Küchengarten von Mansha Friedrich.
Kunst von Man­sha Fried­rich am Küchengarten

Han­no­ver­scher Kunst wer­de ich mich dem­nächst wohl etwas inten­si­ver wid­men. Denn zwar konn­te ich mich zuletzt mit Street Art auf den Azo­ren und in der tata­ri­schen Haupt­stadt Kasan beschäf­ti­gen, in der Hei­mat ist dafür jedoch man­ches an mir vor­bei­ge­gan­gen. Jetzt aber geht es zunächst nach Hau­se, es sind nur ein paar hun­dert Meter. Dort­hin also zurück, wo wun­der­li­che Fabel­we­sen auf der Königs­wor­t­her Brü­cke war­ten, grün­lich-schwarz und nackt. Und, im Gegen­satz zu mir, gänz­lich unbe­ein­druckt von der Käl­te. Vor allem an den Hän­den frie­re ich, mei­ne Fin­ger sind fast zu kalt, den Schlüs­sel im Haus­tür­schloss herumzudrehen.

Meerjungfrau auf der Königsworther Brücke, Calenberger Neustadt, Hannover.
Nackt und schnee­be­deckt: Meer­jung­frau auf der Königs­wor­t­her Brücke

Was bleibt außer­dem von ein paar Stun­den in der hei­mat­li­chen Käl­te? Viel Stoff für einen win­ter­li­chen Bil­der­bo­gen, die­sen klei­nen Han­no­ver-Gui­de, natür­lich ohne Anspruch auf Voll­stän­dig­keit. Dazu die für den Insi­der wenig über­ra­schen­de Erkennt­nis: Han­no­ver ist eine Stadt mit span­nen­den Geschich­ten und inter­es­san­ter Geschich­te. Und vor allem: Han­no­ver ist auch im Win­ter schön!

Autor, Reisereporter und Reiseblogger. Nachdem man ihn dazu gebracht hat, seine vorherige berufliche Karriere zu beenden (um das böse Wort Mobbing zu vermeiden), treibt ihn die Neugier hinaus in die Welt und er erzählt Geschichten von unterwegs.

0 Kommentare zu “Geschichten aus Hannover | Von Fußball, Frost & Frühlingswald

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert