Der Kronsberg ist die höchste natürliche Erhebung Hannovers. Ein Aussichtspunkt, ganz in der Nähe vom Gelände der ehemaligen Weltausstellung im Südosten der Landeshauptstadt. Für mich eine ungewohnte Perspektive, neben dem Blick auf die Skyline von Hannover führt sie zu einer Reise in die Vergangenheit. Und zur Frage, was eigentlich von der Expo 2000 geblieben ist.
Zielstrebig bewegen sich drei Menschen die Anhöhe hinauf. Kleine Farbtupfer, für einen Moment sind sie Teil des Landschaftsbildes vor meinen Augen und ich schaue ihnen zunächst eine Weile nach. Ihre Silhouetten verlieren sich schließlich oben zwischen den herbstlich kahlen Zweigen der Bäume und ich mache mich nun ebenfalls auf den Weg. Dorthin, wo Hannover am höchsten ist. Auf den Kronsberg.
Am südöstlichen Rand von Hannover erstreckt sich die Erhebung über eine Länge von etwa sechs Kilometern. Neubausiedlungen und Bürogebäude befinden sich hier und ein Naturschutzgebiet. Im 18. und 19. Jahrhundert herrschte bisweilen mächtig Betrieb, Anlass waren umfangreiche Manöver und Militärparaden. Zuletzt sind hier im Jahr 1907 zehntausende Soldaten aufmarschiert und sogar Kaiser Wilhelm II. wohnte dem Spektakel bei, noch heute erinnert ein Gedenkstein an den Besuch seiner Majestät. Und oben auf dem Aussichtspunkt, der höchsten Stelle des Kronsbergs, befindet sich ein Gipfelkreuz. 118 Meter über Normalnull beträgt die Höhe, sie ist dort abzulesen.
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Blick zurück: Expo 2000
Eine kurze Zeitreise, wir springen zurück ins Jahr 2000: Weltausstellung! Das 20. Jahrhundert ist passé und Hannover hat den Zuschlag für die Expo erhalten. „Mensch, Natur und Technik – eine neue Welt entsteht“ ist das Motto der ersten Weltausstellung auf deutschem Boden überhaupt. Die Welt zu Gast in Hannover, nicht ungewöhnlich, finden doch in Niedersachens Hauptstadt laufend Ausstellungen von internationaler Bedeutung statt. Das größte Messegelände der Welt dient dabei CeBIT, Industriemesse und weiteren Events als Bühne. Was aber wird die Expo 2000 bringen? Nicht nur ich stelle mir diese Frage, Anlaufschwierigkeiten sind so absehbar. Dass hohe Eintrittspreise überdies ihren Beitrag zu anfangs niedrigen Besucherzahlen leisten, dürfte kaum überraschen.
Emotional sei die Expo im breiten Publikum nicht verankert gewesen, heißt es später, nüchtern analysiert, lange nach Ende des Großereignisses. Kurzum, der Heimvorteil wurde nicht genutzt, man hat schlichtweg versäumt, rechtzeitig beim hannoverschen Publikum den Appetit auf dieses Schmankerl zu wecken. Stattdessen lautet die eigentlich banale Erkenntnis: Eine Weltausstellung ist keine Weltmeisterschaft und somit eben auch kein Selbstläufer. Ein Aha-Effekt, der jedoch nicht nur zu spät kommt, sondern obendrein teuer ist, der Verlust nämlich beläuft sich auf 1,1 Mrd. Euro. Was aber hat das alles mit dem Kronsberg zu tun, von dem ich inzwischen auf Hannover herabschaue? Nun, von hier sind es nur wenige hundert Meter bis zum damaligen Expo-Gelände.
Blendet man das Loch in der Kasse, eher ist es wohl ein tiefer Krater, einmal aus, so lässt sich jedoch zumindest vom weiteren Verlauf der Ausstellung noch versöhnliches berichten. Verbilligte Abendtickets kurbeln nämlich das Interesse auf einmal merklich an und der Funke springt doch noch über. Die Expo wird gefeiert und die Hannoveraner werden endlich warm mit dem Event. Lange Schlangen begeisterter Besucher bilden sich nun täglich vor einzelnen Länder-Pavillons und auch ich bin das eine oder andere Mal vor Ort. Na bitte, warum nicht gleich so? Trotz allem jedoch, statt der erwarteten 40 Millionen Besucher sind es am Ende nur knapp die Hälfte. Ein enormes Minus, erklärbar allein mit zu geringem Besucherinteresse? Oder doch eher das Ergebnis einer gewaltigen Fehlkalkulation? Eine berechtigte Frage, die letztlich unbeantwortet bleibt.
Vom Eiffelturm zum Holland-Pavillon
Bis ins Jahr 1851 geht die Geschichte der Weltausstellungen zurück und Hannover reiht sich ein in eine Liste prominenter Austragungsstädte. In einigen erinnern auch heute noch eindrucksvolle Bauwerke an die Ausstellungen vergangener Tage. So ist etwa der Pariser Eiffelturm ein Relikt der Weltausstellung 1889, während in Brüssel das Atomium aus dem Jahr 1958 als Expo-Wahrzeichen bekannt ist. Und was ist mit Hannover? Was ist hier von der Expo 2000 als Symbol geblieben?
Der niederländische Pavillon war seinerzeit der markanteste Bau, kein Wunder also, dass dort die Besucherschlangen zum Ende hin besonders lang waren. Objekt des Interesses: Landschaften, die auf acht Etagen quasi übereinander gestapelt waren. Architektonisch-eindrucksvoll wurde so unter dem Motto “Holland schafft Raum” das stete Bemühen dargestellt, dem Meer Land abzuringen. Auf dieses Gebäude fällt mein Blick jetzt vom Kronsberg aus, geradezu mystisch wirken seine Umrisse im trüben Novemberlicht.
Aber nicht nur berühmt, auch berüchtigt ist der Holländische Pavillon, wie er nur genannt wird, inzwischen. Längst nämlich ist die verrottende Ruine ein beliebtes Ziel von Abenteuerlustigen, Graffiti-Writern oder Fotografen. Taugt dieser “Lost Place” als Wahrzeichen der Expo 2000?
Was ist von der Weltausstellung geblieben?
Offizielles Wahrzeichen ist der Holland-Pavillon jedoch nicht, sondern der als Expowal bekannte ehemalige “Pavillon der Hoffnung”. Äußerlich der Figur aus einer Bibelgeschichte nachempfunden, dient der “Wal” mittlerweile als Kirche und Veranstaltungszentrum.
Auch andere der ehemaligen Expo-Hallen werden weiter genutzt, das prominenteste Beispiel: Mustafa Gündoğdu, als Mousse T. eines von Hannovers musikalischen Aushängeschildern, hat die Zelte seines Studios im ehemaligen belgischen Pavillon aufgeschlagen. Mousse T. und Expo, das passt, im Vorfeld des Events waren der Feder des Erfolgsproduzenten zwei Welthits entsprungen: Wer erinnert sich nicht an “Horny” oder “Sex Bomb”? Auch das EXPOSEEUM ist zu nennen, wenn es um Überbleibsel der Weltausstellung geht. Engagierte Vereinsmitglieder setzen sich dort für die Bewahrung der Erinnerung an die Expo ein, das Museum auf der Expo-Plaza ist sonntags geöffnet.
Die baulichen Hinterlassenschaften auf dem Gelände selbst sind die eine Sache, profitiert von der Expo hat jedoch vor allem Hannovers Infrastruktur. Die Modernisierung des Hauptbahnhofs und die Schaffung eines S‑Bahn-Netzes, aber auch die Errichtung moderner Wohnsiedlungen hier am Kronsberg zählen zu den bedeutendsten Maßnahmen.
Urbane Kunst am Kronsberg
Zu ergänzen wäre noch der eigentliche Grund für meinen Ausflug, denn Gedanken an die Expo waren damit ursprünglich nicht verbunden. Zum Kronsberg gelockt hat mich stattdessen ein Kunstwerk, ein Mural in einer der Neubausiedlungen. Das große Gemälde an einer Hauswand im Johanneskamp gehört zu einer Serie derartiger Werke, die in den letzten Jahren entstanden sind. Verantwortlich ist das Bauunternehmen Gundlach, die haben richtig gute Künstler nach Hannover geholt, um einige Fassaden zu verschönern. Vom Briten Dale Grimshaw stammt das Bild hier am Kronsberg, bunt und ausdrucksstark zeigt es einen Ureinwohner Brasiliens. Das Objekt konnte ich nun ablichten, eine ausführliche Reportage folgt demnächst an dieser Stelle, urbane Kunst in Hannover wird das Thema sein. Zunächst jedoch inspiriert der Blick vom nahen Hügel zu einer Expo-Rückschau und noch eine weitere Idee entsteht, denn spannend wäre sicher auch ein Projekt mit weiteren hannoverschen Perspektiven. Ein Vorgeschmack ist unten zu sehen.
Reise in eine andere Zeit
An Facebook war im Jahr 2000 noch nicht zu denken, erst 2004 wurde das Netzwerk gegründet, Instagram gar erst 2010, und auch getwittert wird erst seit 2006. Eine Weltausstellung ohne die heute unverzichtbar scheinenden digitalen Medien – kaum vorstellbar für manche, die inzwischen mit ihnen groß geworden sind. Zahlungsmittel war noch die D‑Mark, an die Finanzkrise, Beginn im Jahr 2007, war nicht zu denken und der Bundeskanzler hieß Schröder. Die Weltausstellung in Hannover, eine Veranstaltung in einer anderen Zeit! Wie würde sich das Event wohl fast 20 Jahre später präsentieren? Wie wäre eine Expo 2020, noch einmal unter dem gleichen Motto, „Mensch, Natur und Technik“, während Klimawandel und Umweltkatastrophen wie ein Damoklesschwert über uns schweben? Eine spannende Frage!
Später, zu Hause, finde ich in der Schublade meines Schreibtischs noch eine weitere Erinnerung an die Expo. Ein Stück Papier mit bunten Stempeln aus Ecuador und Panama. Aus Venezuela, Japan und einigen weiteren Staaten. Wie eine Seite aus dem Reisepass wirkt die Eintrittskarte für die Weltausstellung. Der Unterschied: Nicht ich war dort, die Länder, insgesamt 155, waren hier, zur Expo 2000 in Hannover. Zu Gast in einer bunten und weltoffenen Stadt.
Der Kronsberg und andere “Höhepunkte” in Hannover
Anfahrt zum Kronsberg
- Mit öffentlichen Verkehrsmitteln: Stadtbahnlinie U6 von Haltestelle Kröpcke bis Haltestelle Kronsberg, zum (ehemaligen) Expo-Gelände weiter bis Haltestelle Messe/Ost (EXPO-Plaza)
EXPOSEEUM
- Expo-Plaza 11, auf der dortigen Website finden sich u.a. Infos zu Führungen und eine Fotogalerie der Expo 2000
Höchste Gebäude Hannovers
- Fernsehturm Telemax, 282 m, Besonderheit: Turm ist eckig, nicht rund.
- VW-Tower, 141 m, als Fernsehturm bis 1992 in Betrieb, inzwischen von weltweit bekanntem Automobilunternehmen erworben.
- Drei warme Brüder (Spitzname für Türme des Heizkraftwerks Hannover-Linden), 125 m, Infos zu Führungen (eine Besteigung der erstgenannten Türme ist nicht möglich).
Hannover von oben – Aussichtspunkte
- Neues Rathaus, Trammplatz 2, mit weltweit einzigartigem Bogenaufzug zur Rathauskuppel, Infos, Öffnungszeiten und Preise (Winterpause beachten!)
- Marktkirche, Hanns-Lilje-Platz 2, Infos zu Führungen und Turmbesteigung
- Kreuzkirche, Kreuzkirchhof 1, Infos zu Führungen
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