Stopover in Belgrad. Das eigentliche Ziel lautet jedoch Beirut, mein Aufenthalt ist also eher ein Zufallsprodukt. Mittags gelandet, sollte es gegen Mitternacht schon weiter Richtung Libanon gehen. Zuvor war ich noch nicht in der serbischen Hauptstadt und hatte mir daher einen Plan gemacht, um die Zeit sinnvoll zu nutzen. Spannende Eindrücke sollte ich mitnehmen, dazu interessante Tipps für Belgrad von einem Insider.
Auf dem Nikola Tesla Airport geht es nach der Landung in Belgrad staunlich ruhig zu. Die Taxifahrer am Ausgang sind unaufdringlich, scheinen mich kaum zu registrieren. Vielleicht wirke ich zu zielstrebig, also nicht so, als könne man mit mir ein Geschäft machen.
Schnurstracks geht es zur Haltestelle des Flughafenbusses. Die ist nicht schwer zu finden, sie befindet sich in Sichtweite. Rund sechs Kilometer in die City werden anschließend fast non-stop zurückgelegt.
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Street Art in Hinterhöfen
Der erste Eindruck: die schönste Stadt scheint Belgrad nicht zu sein. Schmuddelige Grau- oder Brauntöne geben in den Vororten den Ton an, der Stil: eine Art sozialistischer Einheitsbau. In der Nähe des Bahnhofs steige ich aus und bummele zunächst etwas herum. Schaue mir die Menschen an, biege ab in Seitenstraßen und werfe ein paar kurze Blicke hinter die Kulissen, entdecke Street Art, versteckt in Belgrader Hinterhöfen.
Anschließend laufe ich zum Platz der Republik, dem Mittelpunkt der Stadt, hier befinden sich das Nationalmuseum und das Nationaltheater. Vor einigen Jahrzehnten noch wurde dieser Bereich als Friedhof genutzt. Für die Soldaten, die im Kampf gegen die deutsche Armee gefallen waren. Für mich sollte es später noch viele weitere Fakten zum Thema Zweiter Weltkrieg geben. Ein trauriges Kapitel und aus deutscher Sicht natürlich vor allem ein sehr unrühmliches.
Treffpunkt beim Prinzen
Um 15 Uhr würde vom Platz der Republik aus die Communist Tour von Belgrade Walking Tours starten. Das war das Ergebnis meiner vorab erfolgten Recherchen. Und diese Tour sollte auch den Kernpunkt meines Abstechers nach Belgrad bilden. Treffpunkt ist die Statue zum Gedenken an Prinz Mihailo Obrenović, der mit seinen Truppen seinerzeit die Türken aus Serbien vertrieben hat.
Mehr als 40 Teilnehmer zählt Željko Petrovic, der Teilnehmerrekord sei eingestellt, verkündet er sichtlich stolz. Man merkt sofort, dass der Guide mit Herzblut bei der Sache ist. Er sammelt zunächst den Obolus ein, bezahlt werden kann in Euro oder Dinar, unter anderem die Kosten für Bustickets und Eintritt für das Museum, das wir besuchen werden, sind darin enthalten. Anschließend lauschen wir der Einführung durch Željko. Infos zu den Ursprüngen Serbiens und des späteren Jugoslawiens gibt es zunächst, Details zu den Wanderungen slawischer Stämme zwischen dem 6. und 8. Jahrhundert und zur ersten Staatsgründung. Diverse weitere Etappen folgen, bis hin zum Ersten Weltkrieg. Dann geht es weiter mit der Zeit des Nationalsozialismus, im Zweiten Weltkrieg war Belgrad gleich von zwei Seiten bombardiert worden, erst von den Nazis, später dann von den Alliierten. Die Tito-Ära darf natürlich auch nicht fehlen. Und schließlich sind wir beim Kosovokrieg angelangt. Die beiden letzten Themen würden später noch vertieft werden. Vier Stunden sind dafür angesetzt, ein volles Programm wartet auf uns.
Wer ist Josip Broz?
Josip Broz hatte seinen Sitz auf einem Hügel am Rande der Stadt. Mit dem Bus geht es dorthin. Jozip Broz? Als Tito kannte den Mann die ganze Welt und diesen Namen hat er als Partisanenanführer während des zweiten Weltkriegs angenommen. 1980 haben Vertreter aus 127 Staaten an seiner Beerdigung teilgenommen, so bedeutend war der Mann, der zwischen 1945 und 1980 die Geschicke des Landes lenkte. In seinem ehemaligen Haus befindet sich jetzt das Museum of Yugoslav History. Und Titos Grab, wir werden bald direkt davor stehen.
Zwar Kommunist, jedoch eiserner Verfechter der Neutralität seines Landes, war Tito der Garant für den Zusammenhalt Jugoslawiens. Sogar Stalin, dem sowjetischen Diktator, hat er getrotzt, was ihm weltweite Anerkennung verschaffte. Željko zeigt auf ein Gebäude, etwas weiter entfernt, es ist das ehemalige Haus von Slobodan Milošević. 1999 wurde es von der NATO bombardiert, Milosevic war jedoch nicht zu Hause. Verstrickt in die Jugoslawienkriege der 1990er Jahre wurde er später des Völkermords angeklagt. Tito hätte sich eigentlich im Grab umdrehen müssen angesichts dieses Nachfolgers.
Titos Reiseleidenschaft
Viele Hinterlassenschaften Titos sehen wir im Innen- und Außenbereich, so auch sein Arbeitszimmer. Und immer wieder gibt es spannende Hintergrundinformationen. Jugoslawische Reisepässe seien damals der Renner auf dem Schwarzmarkt gewesen, die hätten 10.000 US-Dollar gekostet. Damit habe man zur Zeit des Kalten Krieges fast überall hinreisen können. Ob nach Ost oder West, vollkommen egal. Möglich gemacht habe es die Neutralität Jugoslawiens, trotzdem hätten nur die wenigsten davon Gebrauch machen können. Den meisten Jugoslawen habe schlichtweg das nötige Kleingeld gefehlt. Tito selbst hätte das Reisen im Übrigen geliebt, es sei eine seiner großen Leidenschaften gewesen, erzählt Zeljko. Schwer vorstellbar aber, dass auch der weltweit respektierte Staatsmann hierfür einen Pass brauchte.
Später steigen wir erneut in den Bus, um nur kurz darauf wieder auszusteigen. Hier sieht es aus, als habe gerade eben eine Bombe eingeschlagen. Wir schauen auf zwei Gebäude, es handelt sich um den Sitz des serbischen Militärs, der seinerzeit von der NATO ins Visier genommen wurde. Kaum zu glauben, dass das schon 15 Jahre her ist.
Belgrads spannende Geschichte
Zeljko berichtet unermüdlich und alle lauschen gebannt, sind betroffen von den schlimmen Geschehnissen. Das Interesse ist auch nach vier Stunden ungebrochen. Als dann doch irgendwann Schluss ist, muss Željko die Teilnehmer geradezu wegschicken, viele können sich kaum vom Thema lösen, sind immer noch wissbegierig. Einen Tipp für das Abendprogramm gibt es noch mit auf den Weg, das Belgrader Bierfest legt uns Željko ans Herz.
Ich streife noch ein wenig durch die Fußgängerzone der Innenstadt. Bars und Bierstuben locken in den Seitenstraßen. Zwei Paare tanzen draußen, vor einer Bar. Im Fenster stehen Boxen, Musik schallt heraus. Ich bleibe auf ein Bier. Danach muss ich mich aber losreißen, Beirut wartet schließlich. Vielleicht werde ich ja irgendwann wieder einmal in Belgrad sein. An weiteren Aktivitäten von Belgrade Walking Tours würde ich dann sicher auch teilnehmen, keine Frage. Was die Leute auf die Beine stellen, verdient Anerkennung. Und vielleicht wäre dann ja wieder Bierfest. Dann würde ich länger verweilen, auch auf ein zweites Bier …
Abschied von Belgrad
Das sind die Gedanken, als ich im Bus sitze, zurück zum Flughafen. Eine andere Linie, eine andere Route. Langsamer voran geht es diesmal. So, als ob Belgrad mich noch nicht loslassen will. Informationen habe ich im Gepäck, Tipps für Belgrad. Von Željko Petrovic, dem Insider.
Insidertipps für Belgrad
Wie ist Belgrad Walking Tours entstanden, Željko?
Das war Anfang 2010, Gründer war die NGO Jungle Tribe (Anmerkung: NGO = Nichtregierungsorganisation).
Was ist für Dich die Motivation, mitzumachen?
Ich liebe mein Land, fühle mich seiner Geschichte und den Menschen verbunden. Seiner Schönheit und der Kultur. Und auch der Gastronomie. Es ist eine tolle Möglichkeit, Menschen aus der ganzen Welt zu treffen, neue Freundschaften zu schließen. Und klar, es ist auch schön, ein Trinkgeld zu bekommen, wenn ich meinen Job gut gemacht habe.
Was sollten wir Besucher über Belgrad wissen?
Belgrad ist eine der ältesten Städte Europas und die größte auf dem Balkan. Jedenfalls, wenn man Athen nicht mitrechnet. Und Istanbul, das auf zwei Kontinenten liegt, auch nicht. Es ist die einzige europäische Hauptstadt, die am Zusammenfluss zweier großer Flüsse liegt, der Save und der Donau. Zwischen 1938 und 1944 war die Stadt nahezu komplett zerstört worden. Sie verfügt über eine der größten Festungen in Europa und gehört zu den wenigen europäischen Metropolen, die über kein U‑Bahn-Netz verfügen. Dafür hat Belgrad 8 Brücken, und die Stadt wurde als Stadt der Zukunft Südeuropas ausgezeichnet. Sie kandidiert außerdem als europäische Kulturhauptstadt 2020. In den letzten 150 Jahren ist Belgrad die Hauptstadt 10 verschiedener Länder mit 10 verschiedenen Namen gewesen. Das Derby zwischen Roter Stern und Partizan gehört zu den bedeutendsten der Fußballwelt. Novak Djokovic, zurzeit weltbester Tennisspieler, ist hier geboren. Belgrad ist die Stadt des meistbesuchten Festivals in Südosteuropa, des Belgrader Bierfestes. Und auch unter den Top 10 Städten, was das Nachtleben angeht, ist Belgrad schon länger zu finden.
Hast Du weitere Tipps für Belgrad, abgesehen von Euren Touren?
Du solltest das Nikola Tesla Museum besuchen, und das Miltärmuseum. Schau Dir den Dom des Heiligen Sava an. Geh an den Flüssen spazieren. Triff Dich mit Einheimischen und trink mit ihnen etwas. Genieß unser Essen, Ćevapčići, Pljeskavica und Burek. Und die fünf verschiedenen Sorten unseres Brandy, des Rakija, die musst Du auch unbedingt probieren.
Hallo Wolfgang,
ein ganz toller Bericht.
Wir waren vor 2 Jahren für ein langes Wochenende in Belgrad. Wir haben uns gezielt für Belgrad entschieden, weil diese Stadt so anders als andere Hauptstädte ist.
Aber trotzdem eine liebenswerte Stadt, mit wunderschönen Ecken (wenn man etwas mehr Zeit hat, findet man diese), mit sehr netten und hilfsbereiten Menschen und tollem Essen.
Sollten wir noch einmal nach Belgrad kommen, werden wir auf jeden Fall die Belgrad Walking Tour mitmachen. Wir haben eine private Rundtour vom Betreiber unseres Hostels erhalten, die auch wahnsinnig interessant war.
Viele Grüße
Frauke
Vielen Dank, Frauke! 😉 Da ich nur ein paar Stunden hatte, war´s für mich so die beste Lösung, auch wenn ich normalerweise lieber eigenständig auf Entdeckungstour gehe …
Mal schau´n, vielleicht ergibt sich das ja irgendwann noch mal! 😉 Es gibt bestimmt viel zu entdecken in Belgrad …
Liebe Grüße,
Wolfgang