Portugal

Street Art in Lissabons Alvalade: Entdeckungen abseits der Touristenpfade

Authen­ti­sche Tas­cas und impo­san­te Wand­ge­mäl­de: Alvala­de über­rascht als urba­nes Kunst­quar­tier mit Charme. Sel­ten steht es auf Rei­se­plä­nen für Lis­sa­bon – wer das Vier­tel jedoch erkun­det, ent­deckt nicht nur loka­le Gas­tro­no­mie, son­dern auch span­nen­de Street-Art-Pro­jek­te, die bedeu­ten­de por­tu­gie­si­sche Per­sön­lich­kei­ten ehren. 

Zufallsfund: Restaurantsuche führt zur Kunstentdeckung

Ein hung­ri­ger Magen kann manch­mal zu den bes­ten Ent­de­ckun­gen füh­ren. Nach einem Besuch des Street-Art-Hot­spots Bair­ro Pad­re Cruz ist die Suche nach einer authen­ti­schen Tas­ca der Grund, war­um ich in Alvala­de lan­de – einem Vier­tel, das defi­ni­tiv nicht Teil der typi­schen Lis­sa­bon-Rou­te ist. Die Ade­ga Solar Min­ho­to in der Ave­ni­da Rio de Janei­ro erweist sich als Voll­tref­fer: ein tra­di­tio­nel­les Restau­rant, das täg­lich ein­hei­mi­sche Stamm­gäs­te anlockt.

Praça de Alvalade mit Santo-António-Monument im Stadtviertel Alvalade in Lissabon
Pra­ça de Alvala­de mit Santo-António-Monument

Authen­ti­sches Ambi­en­te und boden­stän­di­ge Küche, das ist es, was die Ade­ga aus­zeich­net. Auf der Kar­te ste­hen Spe­zia­li­tä­ten wie Bacal­hau, Cozi­do à Por­tu­gue­sa oder Bito­que – dazu fri­scher Pes­ca­do dank der Nähe zum Alvala­de-Markt. Ich ent­schei­de mich für letz­te­res, Fisch mit Kar­tof­feln und Gemü­se – ein ein­fa­ches, aber ziem­lich lecke­res Gericht. Als Des­sert tra­di­tio­nel­le Mousse de Cho­co­la­te, der unver­zicht­ba­re Cafe­zin­ho run­det die Mahl­zeit ab. Beglei­tet wird das Gan­ze von einer Karaf­fe erfri­schen­dem Vin­ho Ver­de – anre­gen­de Wir­kung für die wei­te­re Erkun­dung des Vier­tels inklusive.

Mural von Edis One und Pariz One: Projekt mit Tiefgang

Direkt in der Nach­bar­schaft der Tas­ca sto­ße ich auf ein far­ben­präch­ti­ges Wand­ge­mäl­de: ein groß­for­ma­ti­ges Mural der bekann­ten Street-Art-Künst­ler Edis One und Pariz One. Ent­stan­den ist das Werk im Rah­men der “Hora do Pla­ne­ta” (Earth Hour), bei der welt­weit für eine Stun­de das Licht aus­ge­schal­tet wird, um ein Zei­chen für Kli­ma­schutz zu set­zen. Das Wand­bild zeigt zwei Jugend­li­che mit einer Dar­stel­lung der Erde.

FUTURO-Mural von Edis One und Pariz One zur Earth Hour in Alvalade, Lissabon
“FUTURO” von Edis One und Pariz One

Edis One, gebo­ren 1990 in Lis­sa­bon, ist nicht nur Street-Art-Künst­ler, son­dern auch Bot­schaf­ter von WWF Por­tu­gal und Grün­der des “Ori­gi­nal Extinc­tion Art Pro­jects”, das durch Wand­ma­le­rei­en bedroh­ter Arten und gefähr­de­ter Kul­tu­ren auf Umwelt­zer­stö­rung und Arten­ster­ben auf­merk­sam macht. Als WWF-Part­ner wur­de er ein­ge­la­den, für die Earth Hour ein Mural zu gestal­ten, The­ma: die Zukunft unse­res Pla­ne­ten – als Part­ner hat er dafür Pariz One mit ins Boot geholt, die Künst­ler haben schon mehr­fach zusam­men­ge­ar­bei­tet. Edis One hielt 2016 sogar einen Guin­ness-Welt­re­kord, wäh­rend Pariz One unter ande­rem in mei­ner Hei­mat­stadt Han­no­ver ein beein­dru­cken­des Mural in sei­nem typi­schen Stil geschaf­fen hat.

Detailausschnitt des FUTURO-Murals von Edis One und Pariz One mit zwei Jugendlichen in Alvalade
Detail­aus­schnitt des FUTURO-Murals

Das Werk in Alvala­de trägt den Titel “FUTURO”. Edis One dazu: “Die bei­den Jugend­li­chen sym­bo­li­sie­ren unse­re Zukunft – sie haben ihr Leben noch vor sich. Die Erde steht für unser gemein­sa­mes Zuhau­se. Denn genau dar­um geht es doch: Unse­ren Pla­ne­ten als das zu sehen, was er ist – unser Heim, für das wir Ver­ant­wor­tung tra­gen.” Pariz One ergänzt: “Das Mural mahnt, an die nächs­ten Gene­ra­tio­nen zu den­ken. Die bei­den jun­gen Gesich­ter strah­len Hoff­nung und Ent­schlos­sen­heit aus – und erin­nern dar­an, dass wir heu­te han­deln müs­sen. Die Erde im Bild ist dabei mehr als nur Deko­ra­ti­on – sie ist das Sym­bol für einen Weckruf.”

“Galeria dos Inesquecíveis”: Street Art als kulturelles Gedächtnis

Ein wei­te­res ambi­tio­nier­tes Street-Art-Pro­jekt wur­de in Alvala­de mit der “Gale­ria dos Ines­quecí­veis” (Gale­rie der Unver­gess­li­chen) ins Leben geru­fen. Die­se Initia­ti­ve des ört­li­chen Gemein­de­vor­stands wür­digt gro­ße por­tu­gie­si­sche Künst­ler durch monu­men­ta­le Wand­ge­mäl­de. Das Por­trät von Pau­lo de Car­val­ho, Inter­pret von “E depois do ade­us” – einer der Kenn­me­lo­dien der Nel­ken­re­vo­lu­ti­on von 1974 – zeigt den Anspruch des Projekts.

Paulo-de-Carvalho-Mural von Tamara Alves für die "Galeria dos Inesquecíveis", Alvalade
Pau­lo-de-Car­val­ho-Por­trät von Tama­ra Alves

Das Mural wur­de 2022 von der Künst­le­rin Tama­ra Alves geschaf­fen, die das Pro­jekt in nur einer Woche voll­ende­te. Pau­lo de Car­val­ho selbst wähl­te das Foto aus, das als Vor­la­ge dien­te, und war bei der Ein­wei­hung anwe­send. “Er rief mich an und sag­te, er möch­te, dass ich sein Gesicht an die Fas­sa­de des Gebäu­des male”, erin­nert sich die in Lis­sa­bon leben­de Künst­le­rin. Beson­ders reiz­voll ist der Stand­ort: Das Wand­bild befin­det sich in der Rua Afon­so Lopes Viei­ra – genau dort, wo die Fami­lie des Sän­gers hin­zog, als er drei Jah­re alt war.

Simone-de-Oliveira-Mural von Mano in Alvalade, Lissabon
Simo­ne-de-Oli­vei­ra-Por­trät von Mano

Eben­falls 2022 ent­stand in unmit­tel­ba­rer Nach­bar­schaft das Por­trät der Sän­ge­rin und Euro­vi­si­on-Teil­neh­me­rin Simo­ne de Oli­vei­ra, ein Werk mit einer beson­ders bewe­gen­den Geschich­te. Es ist ein Tri­but des Künst­lers Mano an sei­ne eige­ne Groß­mutter: “Nach 2 Wochen und 300 Spray­do­sen ist es fer­tig. Ich kann gar nicht aus­drü­cken, wie glück­lich ich bin über die Gele­gen­heit, die­ses Mural zu malen, das mei­ner Groß­mutter und ihrer Kar­rie­re gewid­met ist – und das auch noch in dem Vier­tel, in dem wir bei­de in Lis­sa­bon auf­ge­wach­sen sind”. Bei­de Murals zusam­men bil­den qua­si ein künst­le­ri­sches “Duett” über die Stra­ße hin­weg – in einem Fall also sogar mit einer sehr per­sön­li­chen Fami­li­en­ge­schich­te im Hintergrund.

José-Cardoso-Pires-Mural von SKRAN während Bauarbeiten in Alvalade, Lissabon
Erschwer­ter Blick: José-Car­do­so-Pires-Mural von SKRAN

Weitere Street-Art-Entdeckungen

Doch damit nicht genug, bei einer zwei­ten Erkun­dungs­tour durch Alvala­de sto­ße ich auf wei­te­re inter­es­san­te Wand­bil­der. Im Bereich des Alvala­de-Mark­tes wur­de bereits 2018 der Schrift­stel­ler José Car­do­so Pires vom Künst­ler SKRAN ver­ewigt – anläss­lich der 2. Aus­ga­be von “Alvala­de Capi­tal da Leit­u­ra”, einem loka­len Lite­ra­tur­fes­ti­val. Das Mural ehrt einen der bedeu­tends­ten por­tu­gie­si­schen Schrift­stel­ler des 20. Jahr­hun­derts, mehr als 40 Jah­re Bewoh­ner von Alvala­de. Zum Zeit­punkt mei­nes Besuchs ist das Kunst­werk aller­dings durch umfang­rei­che Bau­ar­bei­ten kaum zu erkennen.

Carlos-do-Carmo-Mural von Mário Belém an der Bibliothek in Alvalade, Lissabon
Tri­but an Car­los do Car­mo von Mário Belém

Ein wei­te­res bemer­kens­wer­tes Werk fin­de ich an der Fas­sa­de der Biblio­thek Man­oel Cha­ves Camin­ha: Ein detail­rei­ches Mural von Mário Belém zu Ehren des Fado-Sän­gers Car­los do Car­mo, der im Janu­ar 2021 ver­stor­ben ist und eben­falls in die­sem Stadt­teil gelebt hat. Das Kunst­werk ist inspi­riert von Car­los do Car­mos bekann­tes­tem Lied “Lis­boa Meni­na e Moça”, das nach sei­nem Tod zur offi­zi­el­len Hym­ne der Haupt­stadt wur­de. Das Werk zeigt Beléms typi­schen Stil: far­ben­fro­he, spie­le­ri­sche Ele­men­te ver­bin­den sich mit einer Mischung aus Bil­dern und Text. Ein Mäd­chen sitzt auf einem Bücher­sta­pel, hält ein offe­nes Buch und trägt einen Raben auf der Schulter.

Detailausschnitt des Carlos-do-Carmo-Murals von Mário Belém mit Leserin und Rabe in Alvalade
Detail­aus­schnitt des Carlos-do-Carmo-Murals

Wei­te­re typi­sche Lis­sa­bon-Moti­ve sind kunst­voll in die Kom­po­si­ti­on ein­ge­wo­ben: eine Fisch­ver­käu­fe­rin, der Hei­li­ge Anto­ni­us, eine Stra­ßen­bahn, der Belém-Turm, die Kathe­dra­le und die Brü­cke des 25. April – eben­so eine Vinyl-Schall­plat­te von Car­los do Carmo.

Alvalade-Markt: Authentisches Lissabon abseits der Touristenströme

Der 1964 eröff­ne­te Mer­ca­do de Alvala­de wur­de sei­ner­zeit in Antho­ny Bour­da­ins TV-Show “No Reser­va­tions” vor­ge­stellt und erleb­te dadurch eine Renais­sance. Der Markt ist ein per­fek­tes Bei­spiel für authen­ti­sches Lis­sa­bon: Hier ver­kau­fen Fami­li­en­be­trie­be seit Jahr­zehn­ten fri­sche Pro­duk­te, wobei die Stän­de häu­fig von Gene­ra­ti­on zu Gene­ra­ti­on wei­ter­ge­ge­ben wer­den. Man­che Ver­käu­fe­rin­nen und Ver­käu­fer arbei­ten hier bereits seit über 40 Jahren.

Obst- und Gemüsestand mit Verkäuferin und Kundin im Alvalade-Markt in Lissabon
Obst- und Gemü­se­stand im Alvalade-Markt

Der Markt ist mon­tags bis sams­tags von 7:30 bis 14:00 Uhr geöff­net und bie­tet neben fri­schem Fisch, Gemü­se und Obst auch Fleisch- und Wurst­wa­ren, Wein und Blu­men. Beson­ders bemer­kens­wert: Die Fisch­ver­käu­fe­rin­nen und Fisch­ver­käu­fer fah­ren täg­lich früh zum MARL (dem zen­tra­len Groß­markt), um bei den lan­des­wei­ten Fisch­auk­tio­nen die bes­te Ware zu ergattern.

Fischstand mit Verkäufer und Kunde im Alvalade-Markt in Lissabon
Fisch­stand im Alvalade-Markt

Alvalade: Viertel zwischen Tradition und Moderne

Alvala­de ist eine Stadt­ge­mein­de Lis­sa­bons, die 1959 durch Abtren­nung von Cam­po Gran­de ent­stand. Das Vier­tel gilt als eines der eta­blier­tes­ten Lis­sa­bons und bie­tet eine Kom­bi­na­ti­on aus Moder­ni­tät und Tra­di­ti­on. Bekannt ist es auch durch das Está­dio José Alvala­de, Hei­mat von Sport­ing Lis­sa­bon. Was Alvala­de für Street-Art-Fans beson­ders reiz­voll macht, ist die durch­dach­te Her­an­ge­hens­wei­se: Statt wahl­los Wän­de zu bema­len, wer­den hier ganz bewusst kul­tu­rel­le Per­sön­lich­kei­ten gewür­digt, die fast aus­nahms­los eine spe­zi­el­le Ver­bin­dung zum Vier­tel haben. Die Qua­li­tät der Arbei­ten ist bemer­kens­wert, zudem wer­den die Pro­jek­te von der loka­len Ver­wal­tung unterstützt.

Frau mit orangefarbenen Haaren telefoniert beim Überqueren einer Straße in Alvalade, Lissabon
Unter­wegs in Alvalade

Ein Viertel mit besonderem Charakter

Wer einen ande­ren Ansatz erle­ben möch­te, soll­te einen Abste­cher zu den Ergeb­nis­sen des Street-Art-Fes­ti­vals in Che­las machen. Dort ver­wan­delt Cor de Che­las ein ehe­mals ver­nach­läs­sig­tes Indus­trie­vier­tel in eine pul­sie­ren­de Frei­luft­ga­le­rie, wo inter­na­tio­na­le Künst­ler und loka­le Talen­te Fas­sa­den mit beein­dru­cken­den Murals gestal­ten. Wäh­rend Alvala­de auf respekt­vol­le Inte­gra­ti­on setzt, steht Che­las für künst­le­ri­sche Rebel­li­on gegen städ­ti­schen Ver­fall – bei­de Kon­zep­te zei­gen die Viel­falt von Lis­sa­bons span­nen­der Street-Art-Szene.

Santo-António-Statue in Bronze auf der Praça de Alvalade in Lissabon
San­to-Antó­nio-Sta­tue von Antó­nio Duarte

Die Kom­bi­na­ti­on aus authen­ti­scher loka­ler Küche, tra­di­tio­nel­lem Markt­le­ben und kul­tu­rell bedeut­sa­men Wand­ge­mäl­den macht Alvala­de zu einem loh­nens­wer­ten Ziel für alle, die Lis­sa­bon abseits der aus­ge­tre­te­nen Tou­ris­ten­pfa­de ent­de­cken möch­ten. Deut­lich wird hier außer­dem: Street Art muss nicht laut und schrill sein, um zu beein­dru­cken. Manch­mal rei­chen respekt­vol­ler Umgang mit der Nach­bar­schaft, Qua­li­tät und eine gute Geschichte.

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Hannover ist seine Heimat, die Welt sein Zuhause. Wolfgang ist Fotojournalist und Autor mit Fokus auf Wildlife, Street Art und kulturellen Begegnungen jenseits des Mainstreams. Mit seiner Kamera dokumentiert er Geschichten von unterwegs und sucht dabei nach authentischen Einblicken in verschiedene Welten.

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