Die Tempelanlage von Baalbek ist eine antike Ruinenstadt in der libanesischen Bekaa-Ebene. Das gewaltige Kulturerbe ist nur wenige Kilometer von der syrischen Grenze entfernt und die Gegend um die Provinzhauptstadt daher nicht sicher. Denn auch im kleinen Libanon sind die Auswirkungen des Konflikts im Nachbarland zu spüren, vor allem in den Grenzregionen.
„Du darfst nicht nach Baalbek“, sagt Adessa. Ich schaue sie an, sie meint es ernst, daran besteht kein Zweifel. Ansonsten könne ich fast überall hin, fügt sie noch hinzu, aber eben nicht nach Baalbek, es sei zu gefährlich. Damit ist das Thema für mich erledigt. Wenige Stunden, nachdem ich nachts in Beirut gelandet war, gibt es Instruktionen von meiner Gastgeberin, wertvolle Tipps als Basis für die Erkundung des für mich noch fremden Landes. Baalbek ist nun nicht mehr in der Verlosung.
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Weltkulturerbe wie Palmyra
Die Tempelanlagen von Baalbek stammen aus dem 2. und 3. Jahrhundert nach Christus und bestehen aus mehreren Teilen: dem Jupiterheiligtum mit seinen lediglich verbliebenen sechs Säulen, dem noch fast vollständig erhaltenen Bacchustempel, einem wahrhaft imposanten Bauwerk, und dem Rundtempel. Vom Merkurtempel sind nur noch einzelne Reste vorhanden. Man hat ihn bereits vor langer Zeit abgebaut, warum auch immer. Das kolossale Weltkulturerbe von Baalbek ist in einem Atemzug mit den antiken Stätten von Palmyra zu nennen. Den historischen Monumenten im benachbarten Syrien, die zuletzt von den Barbaren des Islamischen Staates heimgesucht wurden.
„Du willst den Libanon verlassen, ohne Baalbek gesehen zu haben?“ Eine Woche später, anlässlich des Blue Bahr Film Festivals in Beirut, treffe ich den Taucher Christian Francis. Keinen Gedanken hatte ich bis dahin mehr an Baalbek verschwendet. Und nun spricht aus Christian der Abenteurer. Es wäre doch allein mein eigenes Risiko, da ich keine familiären Verpflichtungen habe, ergänzt er. Und vermutlich werde ich auch nie wieder zurück in den Libanon kommen, es gebe also nur diese eine Chance, Baalbek zu sehen. Mehr braucht es nicht, um mir den Floh wieder ins Ohr zu setzen. Denn nach Baalbek zu kommen, sollte ansonsten ja kein Problem sein. Von Beirut zunächst mit dem Bus nach Zahlé oder nach Chtaura. Und von dort anschließend weiter Richtung Baalbek, eventuell vorher noch einmal umsteigen. Es gibt größere logistische Herausforderungen.
“Die nehmen Dich mit”
Ich höre mich um. „There are problems“ heißt es manchmal etwas nebulös, wenn das Gespräch auf Baalbek kommt. „Problems“? Nicht jeder Libanese spricht offen über die eigentlichen Themen. Manch einer hat alles, was mit Krieg und Terror zu tun hat, aus seinem Wortschatz verbannt. Es ist zu viel nach all den Jahrzehnten. Man spricht die Worte nicht aus, flüchtet sich in Umschreibungen, Krieg ist zum Trauma geworden. Also heißt es eben nur, da gibt es „Probleme“. Etwa so, als ob nachmittags mit Regen zu rechnen sei. „Die sehen Dich an der Straße stehen und nehmen Dich mit“, auch das klingt eher nach einer Gefälligkeit als nach drohendem Kidnapping.
Zwei, drei Tage, bevor ich aufbrechen will, checke ich erneut die News. Von aktuellen Entführungsfällen ist zu lesen. „Sie“ haben sogar Einheimische “mitgenommen”, keine Touristen wie mich, die irgendwo am Straßenrand auf den nächsten Bus warten. Damit war das Thema eigentlich schon wieder erledigt. Es macht keinen Sinn. Ich würde den Libanon dann eben doch verlassen, ohne Baalbek gesehen zu haben. So what!
Überraschende Wendung
Dann fördern meine Recherchen eine neue Info zutage. Die Reiseagentur Nakhal bietet Touren von Beirut nach Baalbek an, ein organisierter Trip war mir bis dahin noch gar nicht in den Sinn gekommen. Eine Mail an die Veranstalter ist schnell abgesetzt und die Bestätigung folgt postwendend. Also werde ich die berühmte Tempelanlage nun doch sehen können. Was für ein Hin und Her!
Die Gruppe, die zwei Tage später zusammenfindet, ist überschaubar, ein kleiner Bus reicht daher aus für die paar Leute. Ich ergattere einen Platz ganz vorn und bin gespannt auf das, was uns erwartet.
Fotoverbot auf dem Weg nach Baalbek
Rechts von mir sitzt die Reiseleiterin, hat mich also direkt im Blick. “Keine Fotos” lautet ihre Ansage, jedes Mal wenn wir einen Militärposten passieren. Und es gibt ziemlich viele dieser Checkpoints auf der Straße nach Baalbek. Kurz bevor wir das Ziel erreichen, sind draußen bewaffnete Zivilisten zu sehen. Hisbollah-Leute. Die Männer bewachen verschiedene Gebäude in Baalbek, unter anderem eine Moschee. Und schauen kritisch zu uns in den Bus herein. “Keine Fotos” schärft mir die Reiseleiterin zum wiederholten Mal ein.
Der Bus hält einige hundert Meter vor den Tempelanlagen, den Rest der Strecke gehen wir zu Fuß. Der alte Mercedes dort an der Straße gibt ein gewohntes Bild ab. Auch in Beirut und anderswo im Libanon sind solche Autos häufig zu sehen. Die Leute hier lieben das Fahrzeug mit dem unverwechselbaren Stern. Unabhängig von seinem Alter.
Eigenartige Atmosphäre
Eine seltsame Stimmung liegt über der historischen Stätte, als wir das Gelände betreten. Es sind kaum Menschen zu sehen: unsere Gruppe, etwa 15 Leute, dazu nur wenige weitere Besucher, die sich in der Weite des Areals verlieren. Es ist beinahe so, als wären wir die ersten Besucher seit 100 Jahren. Oder seit 1.000 Jahren, was spielt das schon für eine Rolle? Hier, wo die Zeit stillzustehen scheint.
Normalerweise würde man an einem solchen Ort Massen von Touristen erwarten. Herumwuselnd zwischen diesen bedeutsamen Monumenten, vergleichbar vielleicht mit dem Colosseum in Rom oder der Akropolis in Athen. Oder eben dem Baal-Tempel in der syrischen Oasenstadt Palmyra. Und genau das ist das Problem: Syrien ist nicht weit. Die Terroristen des IS sind nicht weit. Die Gegend um Baalbek ist nicht sicher und deswegen kommen die Touristen schon lange nicht mehr in Scharen.
Von mehreren Stellen außerhalb der Anlage ertönt auf einmal monotoner Sprechgesang. Die unerwarteten Klänge aus verschiedenen Lautsprechern unterstreichen noch die merkwürdige Atmosphäre über den antiken Ruinen. Eben noch Stille und nun diese blechernen Geräusche. Und es hört überhaupt nicht auf. Ich frage, ob das immer so ist hier. Nein, aber heute ist Freitag. Natürlich, die Muslime werden zum Gebet gerufen, so wie jede Woche. Ich hatte gar nicht mehr daran gedacht.
Gedanken noch in Baalbek
Später, auf der Rückfahrt, machen wir Halt in Zahlé. Es gibt eine Stärkung, leckere libanesische Spezialitäten werden aufgetischt. Was für ein Kontrast! Dabei ist mein Kopf noch in Baalbek, an diesem unwirklichen Ort. Was will der Kellner auf einmal von mir? Der reißt mich plötzlich aus den Gedanken, während ich noch immer gefangen bin von der gespenstischen Stimmung um die Jahrtausende alten Tempel. Und daran denke, was wohl passiert wäre, hätte ich irgendwo dort an der Straße gestanden und „sie“ hätten mich gesehen und „mitgenommen“. Zu realisieren, dass der Kellner mir nach dem Essen lediglich einen Kaffee einschenken will, dauert daher eine gefühlte Ewigkeit.
Am Abend, zurück in Beirut, fragt Adessa, ob ich in Baalbek gewesen sei. Hat sie mich etwa durchschaut? Natürlich hatte ich ihr vorher nichts gesagt. Nun aber muss ich ihr gestehen, dass ich den Libanon doch nicht verlassen werde, ohne Baalbek gesehen zu haben. Ich komme ja gerade von dort, habe mich über das “Du darfst nicht nach Baalbek” meiner Gastgeberin hinweggesetzt. Offenbar hat sie damit gerechnet.
Beeindruckend. Hoffen wir, dass diese Tempel der Zerstörung entgehen werden 🙁
Danke, Ilona! 😉 Ja, das ist wünschenswert! Vor allem auch, dass der Krieg sich nicht wieder bis in den Libanon ausweitet. Die Bewohner dieses kleinen Landes sind ja schon genug gebeutelt …
Israel bombardiert gerade die Gegend Massiv. 9 Jahre nach deinen Kommentar. ich glaube du hattest eher Isis als zerstörer vor Augen 😢
Toller Text, Wolfgang. Dieses Hin- und Her kenne ich auch von meinen Reisen. Es freut mich, dass du am Ende diese Anlage sicher besuchen konntest.
Vielen Dank für das nette Feedback, Oli! 😉
Lieber Wolfgang,
deinen so authentischen Bericht über Baalbek habe ich soeben sehr interessiert gelesen. Weißt über die aktuelle Situation im Libanon Bescheid? Habe vor, über Weihnachten dort in den Flüchtlingscamps zu helfen – und etwas vom Land zu sehen. Ich (62) werde dies mit meiner Tochter (23, nicht häßlich) tun und frage mich, wie sicher es für uns im Land sein wird.… Doris
Hallo Doris,
herzlichen Dank für das Feedback.
Nein, konkret weiß ich nicht Bescheid, denke aber, es wird sich nicht viel geändert haben seit meinem Aufenthalt. D.h. die Grenzgebiete sollten in jedem Fall gemieden werden. Und die Flüchtlingssituation wird sich ja kaum noch weiter verschärft haben. Mehr als bisher schon geht ja eigentlich gar nicht! Zu diesem Thema: Wenn Du / Ihr vorhabt, zu helfen (grds. eine gute Sache), sollte das am besten schon von hier aus organisiert werden. Ich denke, einfach hinfliegen und dann mal schau´n, wird nicht unbedingt funktionieren.
Ich werde möglicherweise den Libanon auch noch einmal besuchen. Es ist ein spannendes Land mit tollen Menschen, kulturell und landschaftlich vielseitig. Es wird mich wohl auch noch einmal dorthin zurückziehen …
Alles Gute für Euch!
Wolfgang
Hallo Wolfgang und alle die das hier noch lesen.
Ja, fahrt in den Libanon und schaut Euch Baalbek an. Nebenbei werdet Ihr sehen, wie die Lage da unten an der syrischen Grenze aktuell ist. Ich hatte die großartige Gelegenheit vor vier Wochen im Dezember 2018 Baalbek zu sehen. Ganz Rom hat mich nicht so berührt wie diese Anlage!
Inzwischen sind die sechs Säulen eingerüstet und es wird fleißig stabilisiert und restauriert. Zwei sehr interessante Ausstellungen ergänzen das Ganze nun auch noch. Alle Infos sind in Arabisch, Französisch, Englisch und Deutsch verfügbar. (Deutsch, weil die Stätte eine enge Verbindung mit dem Deutschen Reich hatte, aber das findet selber raus)
Auf der Reise dahin hat man keine Probleme, Ich bin mit einem Taxi aus Beirut dahingefahren (nicht ganz billig, ok, aber der Tipp mit den lokalen Reiseveranstaltern ist ja schon bekannt). Die Checkpoints gibt es noch, aber so wirklich hat die keinen interessiert. Auch kann man problemlos bis an die syrische Grenze ran. Die Grenze USA-Mexiko ist krasser und militanter! Unser Taxifahrer wäre auch gleich mit mir bis nach Damaskus weitergefahren, aber da hätte er das Auto wechseln und seine Taxilizenz zu Hause lassen müssen. Libanesische Taxen dürfen nicht ohne weiteres rüber. Und ob es mit meinem deutschen Reisepass geklappt hätte, weiß ich auch nicht. Offiziell braucht man wohl ein Visum, aber das behauptet die Reiseapp vom deutschen Außenministerium auch für den Libanon. Ich war dieses Jahr schon dreimal dort und wurde noch nicht einmal nach einem Visum gefragt. 14 Tage sind jedenfalls gar kein Problem.
Im Libanon gibt es übrigens noch mehr zu sehen. Von Beirut mal abgesehen sind auch Byblos und Anjar zu empfehlen.
Wer nach Baalbek fährt, sollte sich aber darauf einstellen wirklichen syrische Flüchtlingen zu begegen.
Wer das sieht, wird seine Einstellung zur deutschen Flüchtlingspolitik wahrscheinlich überdenken.
Gruß Tom
Hi, ein toller Bericht! Ich war selbst 2005 in Baalbek und muss sagen in meinem Leben kein beeindruckenderes Bauwerk gesehen zu haben! Der Steinbruch am Rande der Stadt ist auch sehenswert, mit den grössten jemals aus Stein gehauenen (und noch nicht abtransportierten) monolithischen Steinen! Libanon ist eh ein ganz tolles Land mit sehr sehr gastfreundlichen Menschen.
Dankeschön, Torsten! 😉
Ja, ich möchte auch gern noch einmal in den Libanon, um meine Eindrücke, die ja inzwischen ebenfalls schon etwas zurückliegen aufzufrischen und vor allem zu vertiefen … ist ein spannendes Land mit viel Kultur und Geschichte(n)!
wie hat man zu der damaligen Zeit solche riesige Steingebilde bewegt.…was für Kräfte ware dazu nötig, bzw. woher hat man diese geholt.
Ja, das ist eine sehr gute Frage … die ich mir auch manchmal stelle, wenn ich sehe, was von Menschenhand früher an mächtigen steinernen Bauwerken und Monumenten geschaffen wurde, ob in Baalbek oder anderswo! Da kann man wirklich nur staunen … 😉
Hallo Wofgang, ich habe deinen Bericht über Baalbek mit großem Interesse gelesen. Ich hatte die Gelegenheit im Mai 23 den Libanon zu bereisen und auch Baalbek zu besuchen. Es war unvergleichlich. Die Größe dieser monumentalen Anlage, auch die Fahrt dahin, war so beeindruckend. Der Libanon hat, bis auf die angespannte politische Lage, eigentlich alles, was man sich nur wünschen kann: eine atemberaubende Natur, einmalige kulturelle Schätze, fantastisches Essen und eine so liebenswerte Bevölkerung, die einen mit unglaublicher Gastfreundschaft und Humor bei sich willkommen heißen. Wenn diese Land endlich einmal zur Ruhe kommen könnte, würde die ganze Welt sehen, was für ein Kleinod es da zu entdecken gäbe. Ich komme auf jeden Fall wieder…