Authentische Tascas und imposante Wandgemälde: Alvalade überrascht als urbanes Kunstquartier mit Charme. Selten steht es auf Reiseplänen für Lissabon – wer das Viertel jedoch erkundet, entdeckt nicht nur lokale Gastronomie, sondern auch spannende Street-Art-Projekte, die bedeutende portugiesische Persönlichkeiten ehren.
Inhalte
- 1 Zufallsfund: Restaurantsuche führt zur Kunstentdeckung
- 2 Mural von Edis One und Pariz One: Projekt mit Tiefgang
- 3 “Galeria dos Inesquecíveis”: Street Art als kulturelles Gedächtnis
- 4 Weitere Street-Art-Entdeckungen
- 5 Alvalade-Markt: Authentisches Lissabon abseits der Touristenströme
- 6 Alvalade: Viertel zwischen Tradition und Moderne
- 7 Ein Viertel mit besonderem Charakter
- 8 In eigener Sache
Zufallsfund: Restaurantsuche führt zur Kunstentdeckung
Ein hungriger Magen kann manchmal zu den besten Entdeckungen führen. Nach einem Besuch des Street-Art-Hotspots Bairro Padre Cruz ist die Suche nach einer authentischen Tasca der Grund, warum ich in Alvalade lande – einem Viertel, das definitiv nicht Teil der typischen Lissabon-Route ist. Die Adega Solar Minhoto in der Avenida Rio de Janeiro erweist sich als Volltreffer: ein traditionelles Restaurant, das täglich einheimische Stammgäste anlockt.

Authentisches Ambiente und bodenständige Küche, das ist es, was die Adega auszeichnet. Auf der Karte stehen Spezialitäten wie Bacalhau, Cozido à Portuguesa oder Bitoque – dazu frischer Pescado dank der Nähe zum Alvalade-Markt. Ich entscheide mich für letzteres, Fisch mit Kartoffeln und Gemüse – ein einfaches, aber ziemlich leckeres Gericht. Als Dessert traditionelle Mousse de Chocolate, der unverzichtbare Cafezinho rundet die Mahlzeit ab. Begleitet wird das Ganze von einer Karaffe erfrischendem Vinho Verde – anregende Wirkung für die weitere Erkundung des Viertels inklusive.
Mural von Edis One und Pariz One: Projekt mit Tiefgang
Direkt in der Nachbarschaft der Tasca stoße ich auf ein farbenprächtiges Wandgemälde: ein großformatiges Mural der bekannten Street-Art-Künstler Edis One und Pariz One. Entstanden ist das Werk im Rahmen der “Hora do Planeta” (Earth Hour), bei der weltweit für eine Stunde das Licht ausgeschaltet wird, um ein Zeichen für Klimaschutz zu setzen. Das Wandbild zeigt zwei Jugendliche mit einer Darstellung der Erde.

Edis One, geboren 1990 in Lissabon, ist nicht nur Street-Art-Künstler, sondern auch Botschafter von WWF Portugal und Gründer des “Original Extinction Art Projects”, das durch Wandmalereien bedrohter Arten und gefährdeter Kulturen auf Umweltzerstörung und Artensterben aufmerksam macht. Als WWF-Partner wurde er eingeladen, für die Earth Hour ein Mural zu gestalten, Thema: die Zukunft unseres Planeten – als Partner hat er dafür Pariz One mit ins Boot geholt, die Künstler haben schon mehrfach zusammengearbeitet. Edis One hielt 2016 sogar einen Guinness-Weltrekord, während Pariz One unter anderem in meiner Heimatstadt Hannover ein beeindruckendes Mural in seinem typischen Stil geschaffen hat.

Das Werk in Alvalade trägt den Titel “FUTURO”. Edis One dazu: “Die beiden Jugendlichen symbolisieren unsere Zukunft – sie haben ihr Leben noch vor sich. Die Erde steht für unser gemeinsames Zuhause. Denn genau darum geht es doch: Unseren Planeten als das zu sehen, was er ist – unser Heim, für das wir Verantwortung tragen.” Pariz One ergänzt: “Das Mural mahnt, an die nächsten Generationen zu denken. Die beiden jungen Gesichter strahlen Hoffnung und Entschlossenheit aus – und erinnern daran, dass wir heute handeln müssen. Die Erde im Bild ist dabei mehr als nur Dekoration – sie ist das Symbol für einen Weckruf.”
“Galeria dos Inesquecíveis”: Street Art als kulturelles Gedächtnis
Ein weiteres ambitioniertes Street-Art-Projekt wurde in Alvalade mit der “Galeria dos Inesquecíveis” (Galerie der Unvergesslichen) ins Leben gerufen. Diese Initiative des örtlichen Gemeindevorstands würdigt große portugiesische Künstler durch monumentale Wandgemälde. Das Porträt von Paulo de Carvalho, Interpret von “E depois do adeus” – einer der Kennmelodien der Nelkenrevolution von 1974 – zeigt den Anspruch des Projekts.

Das Mural wurde 2022 von der Künstlerin Tamara Alves geschaffen, die das Projekt in nur einer Woche vollendete. Paulo de Carvalho selbst wählte das Foto aus, das als Vorlage diente, und war bei der Einweihung anwesend. “Er rief mich an und sagte, er möchte, dass ich sein Gesicht an die Fassade des Gebäudes male”, erinnert sich die in Lissabon lebende Künstlerin. Besonders reizvoll ist der Standort: Das Wandbild befindet sich in der Rua Afonso Lopes Vieira – genau dort, wo die Familie des Sängers hinzog, als er drei Jahre alt war.

Ebenfalls 2022 entstand in unmittelbarer Nachbarschaft das Porträt der Sängerin und Eurovision-Teilnehmerin Simone de Oliveira, ein Werk mit einer besonders bewegenden Geschichte. Es ist ein Tribut des Künstlers Mano an seine eigene Großmutter: “Nach 2 Wochen und 300 Spraydosen ist es fertig. Ich kann gar nicht ausdrücken, wie glücklich ich bin über die Gelegenheit, dieses Mural zu malen, das meiner Großmutter und ihrer Karriere gewidmet ist – und das auch noch in dem Viertel, in dem wir beide in Lissabon aufgewachsen sind”. Beide Murals zusammen bilden quasi ein künstlerisches “Duett” über die Straße hinweg – in einem Fall also sogar mit einer sehr persönlichen Familiengeschichte im Hintergrund.

Weitere Street-Art-Entdeckungen
Doch damit nicht genug, bei einer zweiten Erkundungstour durch Alvalade stoße ich auf weitere interessante Wandbilder. Im Bereich des Alvalade-Marktes wurde bereits 2018 der Schriftsteller José Cardoso Pires vom Künstler SKRAN verewigt – anlässlich der 2. Ausgabe von “Alvalade Capital da Leitura”, einem lokalen Literaturfestival. Das Mural ehrt einen der bedeutendsten portugiesischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, mehr als 40 Jahre Bewohner von Alvalade. Zum Zeitpunkt meines Besuchs ist das Kunstwerk allerdings durch umfangreiche Bauarbeiten kaum zu erkennen.

Ein weiteres bemerkenswertes Werk finde ich an der Fassade der Bibliothek Manoel Chaves Caminha: Ein detailreiches Mural von Mário Belém zu Ehren des Fado-Sängers Carlos do Carmo, der im Januar 2021 verstorben ist und ebenfalls in diesem Stadtteil gelebt hat. Das Kunstwerk ist inspiriert von Carlos do Carmos bekanntestem Lied “Lisboa Menina e Moça”, das nach seinem Tod zur offiziellen Hymne der Hauptstadt wurde. Das Werk zeigt Beléms typischen Stil: farbenfrohe, spielerische Elemente verbinden sich mit einer Mischung aus Bildern und Text. Ein Mädchen sitzt auf einem Bücherstapel, hält ein offenes Buch und trägt einen Raben auf der Schulter.

Weitere typische Lissabon-Motive sind kunstvoll in die Komposition eingewoben: eine Fischverkäuferin, der Heilige Antonius, eine Straßenbahn, der Belém-Turm, die Kathedrale und die Brücke des 25. April – ebenso eine Vinyl-Schallplatte von Carlos do Carmo.
Alvalade-Markt: Authentisches Lissabon abseits der Touristenströme
Der 1964 eröffnete Mercado de Alvalade wurde seinerzeit in Anthony Bourdains TV-Show “No Reservations” vorgestellt und erlebte dadurch eine Renaissance. Der Markt ist ein perfektes Beispiel für authentisches Lissabon: Hier verkaufen Familienbetriebe seit Jahrzehnten frische Produkte, wobei die Stände häufig von Generation zu Generation weitergegeben werden. Manche Verkäuferinnen und Verkäufer arbeiten hier bereits seit über 40 Jahren.

Der Markt ist montags bis samstags von 7:30 bis 14:00 Uhr geöffnet und bietet neben frischem Fisch, Gemüse und Obst auch Fleisch- und Wurstwaren, Wein und Blumen. Besonders bemerkenswert: Die Fischverkäuferinnen und Fischverkäufer fahren täglich früh zum MARL (dem zentralen Großmarkt), um bei den landesweiten Fischauktionen die beste Ware zu ergattern.

Alvalade: Viertel zwischen Tradition und Moderne
Alvalade ist eine Stadtgemeinde Lissabons, die 1959 durch Abtrennung von Campo Grande entstand. Das Viertel gilt als eines der etabliertesten Lissabons und bietet eine Kombination aus Modernität und Tradition. Bekannt ist es auch durch das Estádio José Alvalade, Heimat von Sporting Lissabon. Was Alvalade für Street-Art-Fans besonders reizvoll macht, ist die durchdachte Herangehensweise: Statt wahllos Wände zu bemalen, werden hier ganz bewusst kulturelle Persönlichkeiten gewürdigt, die fast ausnahmslos eine spezielle Verbindung zum Viertel haben. Die Qualität der Arbeiten ist bemerkenswert, zudem werden die Projekte von der lokalen Verwaltung unterstützt.

Ein Viertel mit besonderem Charakter
Wer einen anderen Ansatz erleben möchte, sollte einen Abstecher zu den Ergebnissen des Street-Art-Festivals in Chelas machen. Dort verwandelt Cor de Chelas ein ehemals vernachlässigtes Industrieviertel in eine pulsierende Freiluftgalerie, wo internationale Künstler und lokale Talente Fassaden mit beeindruckenden Murals gestalten. Während Alvalade auf respektvolle Integration setzt, steht Chelas für künstlerische Rebellion gegen städtischen Verfall – beide Konzepte zeigen die Vielfalt von Lissabons spannender Street-Art-Szene.

Die Kombination aus authentischer lokaler Küche, traditionellem Marktleben und kulturell bedeutsamen Wandgemälden macht Alvalade zu einem lohnenswerten Ziel für alle, die Lissabon abseits der ausgetretenen Touristenpfade entdecken möchten. Deutlich wird hier außerdem: Street Art muss nicht laut und schrill sein, um zu beeindrucken. Manchmal reichen respektvoller Umgang mit der Nachbarschaft, Qualität und eine gute Geschichte.
In eigener Sache
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