Libanon

Überraschungen in Tripoli

Die zweit­größ­te Stadt des Liba­non war ursprüng­lich ein wich­ti­ger Han­dels­stütz­punkt der Phö­ni­zi­er. Aktu­ell ist die Hafen­stadt ein hei­ßes Pflas­ter, die Gren­ze zu Syri­en, wo die Ter­ror­mi­liz „Isla­mi­scher Staat“ wütet, ist nur 30 km ent­fernt. Und immer wie­der kommt es zu Stra­ßen­kämp­fen und Anschlä­gen durch Extre­mis­ten. „Be careful“ hat­te man mir mit auf den Weg gege­ben. Ein gutes Gefühl hat­te ich nicht. Und ich konn­te natür­lich nicht wis­sen, wel­che Über­ra­schun­gen mich erwar­ten würden.

Mor­gens hat­te ich mich in Bei­rut zur Charles Helou Sta­ti­on bege­ben. 1972 gebaut, han­del­te es es sich ursprüng­lich um ein Park­haus. Erst Ende der 1990er Jah­re wur­de dar­aus ein Bus­bahn­hof  Vom Gate­way to Syria, wie der Bus­bahn­hof mit der düs­te­ren Atmo­sphä­re unter­halb des High­ways, auch genannt wird, fah­ren bis auf den Tri­po­li Express alle Bus­se Rich­tung Syrien.

“The street to Tripoli is not safe”

Es dau­ert eini­ge Zeit, bis der Bus sich aus dem zäh­flüs­si­gen Ver­kehr im nörd­li­chen Teil der Stadt gelöst hat. Anschlies­send geht es zügig wei­ter. Wir pas­sie­ren Jounieh, Byb­los und Batroun. Dort war ich bereits gewe­sen, aber wei­ter als bis Batroun war ich bis­her nicht gekom­men. In der Nähe, etwas wei­ter nörd­lich, woll­te ich mir eigent­lich uralte Sied­lungs­res­te anschau­en. „The street to Tri­po­li is not safe“ hat­te ich erfah­ren, als ich nach dem Weg gefragt habe. Damit war das The­ma erle­digt, ich bin nicht lebensmüde.

Tripoli

Unauf­halt­sam nähern wir uns Tri­po­li. Als der Bus sein Ziel erreicht, ist es dort so, wie man es sich eine ori­en­ta­li­sche Stadt vor­stellt. Heiß. Laut. Quir­lig. Ara­bi­sche Schrift­zei­chen prä­gen das Bild. Aus man­chen Geschäf­ten ertönt Musik. Tri­po­li ist nur 85 km von Bei­rut ent­fernt, aber das hier ist eine ande­re Welt.

Ich mar­schie­re drauf­los. Einen kon­kre­ten Plan habe ich nicht. Die Souks soll man mei­den, hat­te ich irgend­wo gele­sen. Wo lan­de ich als ers­tes? In den Souks. Lan­ge schma­le Gas­sen in einem undurch­dring­li­chen Gewirr. Ein typisch ara­bi­scher Markt. Kon­zen­triert gehe ich hin­ein. Naja, eher ver­krampft, das trifft es wohl besser.

Ich schaue in frem­de Gesich­ter. Erns­te Minen oder bil­de ich mir das nur ein? Drau­ßen ist es heiß, hier drin­nen schat­tig und eigent­lich ange­nehm. Trotz­dem schwit­ze ich, füh­le mich unwohl. Mit „be careful“ im Hin­ter­kopf offen für neue span­nen­de Ein­drü­cke zu sein, das will nicht funk­tio­nie­ren. Ich dre­he um, so läuft das nicht.

Tripoli

Außer­halb des Basars beschlie­ße ich, noch eine Run­de zu dre­hen. Anschlie­ßend einen der nächs­ten Bus­se zurück nach Bei­rut zu neh­men und die­sen Ort, an dem ich mich so unwohl füh­le, hin­ter mir zu las­sen, die­se Vor­stel­lung wird immer verlockender.

“Come, come, come”

Plötz­lich wer­de ich aus mei­nen Gedan­ken geris­sen. „Come, come, come“, die Stim­me des Man­nes über­schlägt sich fast vor Auf­re­gung. Er läuft vor­an, offen­bar sicher, dass ich fol­gen wer­de. Und ich zöge­re kei­ne Sekun­de, bin ein­fach nur neu­gie­rig. Wie weg­ge­bla­sen auf ein­mal das schlech­te Gefühl.

Tripoli

Die Moschee wer­de gleich schlie­ßen, das ist das ers­te, was ich erfah­re. Daher weht also der Wind. Ali, er hat­te mir inzwi­schen sei­nen Namen ver­ra­ten, will mich in die Gro­ße Moschee lot­sen. Also Schu­he aus und hin­ein. An die Anschlä­ge in der Nähe von Moscheen dach­te ich nicht mehr.

Tripoli

Als wir spä­ter das Gebäu­de wie­der ver­las­sen, wird hin­ter uns das Tor ver­rie­gelt. Als nächs­tes will mich Ali in die Souks ent­füh­ren. Also erneut hin­ein in das Laby­rinth. Dies­mal ist es anders. Jetzt kann ich die Ein­drü­cke beim Bum­meln durch die Gas­sen genießen.

Eine Maschine aus Helmstedt

Ali führt mich hin­auf in die ers­te Eta­ge eines Hau­ses. Seit meh­re­ren Gene­ra­tio­nen wird hier aro­ma­ti­sier­te Oli­ven­sei­fe her­ge­stellt. Aug. Krull, Helm­stedt lese ich auf einem Schild, als ich ein altes Gerät näher betrach­te. Ein Relikt aus einer ver­gan­ge­nen Zeit, der Zusatz “i. Bswg.” deu­tet dar­auf hin.

Tripoli

Die tra­di­ti­ons­rei­che nie­der­säch­si­sche Klein­stadt Helm­stedt war bis 1918 Teil des Her­zog­tums Braun­schweig, das 1918 zum Frei­staat Braun­schweig wur­de. Spä­ter for­sche ich im Inter­net nach August Krull aus Helm­stedt, die­sem Pio­nier in Sachen Sei­fen­fa­bri­ka­ti­on. Ers­te Spu­ren wei­sen in das Jahr 1876. Und bereits 1912 enden sie auch schon wie­der. Von der Sei­fen­block-Schnei­de­ma­schi­ne „Wal­bur­ga“ ist die Rede. Ob es sich bei dem Fund­stück aus der nie­der­säch­si­schen Hei­mat wohl um die­ses Modell han­delt? Bereits auf dem Souk el-Ahad in Bei­rut war ich ja auf ein Sou­ve­nir aus Han­no­ver gesto­ßen. Manch­mal ist die Welt gar nicht so groß.

Tripoli

Nach Ver­las­sen der Souks errei­chen wir eine Anhö­he. Hier thront die Zita­del­le, es han­delt sich um die größ­te Kreuz­fah­rer­burg im Liba­non. Vis-à-vis befin­det sich ein Mili­tär­pos­ten der liba­ne­si­schen Armee. Ver­mut­lich eine stra­te­gisch wich­ti­ge Stel­le, man hat fast die gan­ze Stadt im Blick.

Tripoli

Die Alt­stadt liegt uns direkt zu Füßen. Weni­ge Tage spä­ter wird ein sol­cher Pos­ten von Unbe­kann­ten ange­grif­fen. Es könn­te auch die­ser gewe­sen sein.

Al-Hammam al-Jadeed und Taynal-Moschee

Anschlie­ßend besu­chen wir ein ehe­ma­li­ges Bade­haus. Das Al-Ham­mam al-Jade­ed aus dem 18. Jahr­hun­dert war noch bis in die 1970er Jah­re hin­ein in Betrieb. Tags­über hat­ten Frau­en Zutritt, abends, bis in die Nacht hin­ein, stand das Bad Män­nern offen.

Tripoli

Ob ich noch Zeit habe und mehr sehen möch­te. Was für eine Fra­ge. Die Tay­nal-Moschee, die als nächs­tes auf unse­rem Weg liegt, ist eine ehe­ma­li­ge Kar­me­li­ter­kir­che, die 1336 in eine Moschee umge­wan­delt wur­de. Bei den Kar­me­li­tern han­delt es sich um einen römisch-katho­li­schen Orden, der um 1150 am Kar­mel­ge­bir­ge im heu­ti­gen Isra­el gegrün­det wur­de. Daher der Name.

Tripoli

Der jun­ge Mann, auf den wir anschlie­ßend tref­fen, ver­sucht gera­de zu ret­ten, was noch zu ret­ten ist. Der Mer­ce­des, den er aus­schlach­tet, ist zer­schos­sen und aus­ge­brannt. All­ge­gen­wär­ti­ge Erin­ne­run­gen an die schlim­men Vor­fäl­le hier in Tripoli.

Tripoli

Zurück in der Stadt­mit­te lotst mich Ali in ein Gebäu­de. Von außen unschein­bar, ent­puppt es sich als Biblio­thek. Zwei Män­ner wachen hier. Vie­le alte Bücher, was mögen sich dar­un­ter für Schät­ze ver­ber­gen? Gele­gent­lich wür­den Stu­den­ten kom­men und sich zu Stu­di­en­zwe­cken ein­schlie­ßen, erfah­re ich.

Tripoli

Plötzlicher Abschied

Als wir das Gebäu­de ver­las­sen, hat Ali es auf ein­mal eilig. Ich kann ihm gera­de noch etwas Geld in die Hand drü­cken. Das hat er sich red­lich ver­dient. Und dann ist er auch schon ver­schwun­den. Wie vom Erd­bo­den ver­schluckt. So, als ob er nie da gewe­sen wäre. Ich ste­he immer noch oben auf der Trep­pe, die zurück auf die Stra­ße führt. Wir waren nicht ein­mal mehr zusam­men hinuntergegangen.

Lang­sam gehe ich Rich­tung Bus­sta­ti­on. Der nächs­te Bus steht schon bereit. Ent­spannt tre­te ich die Rück­fahrt zurück in die Haupt­stadt an. Abends in Bei­rut las­se ich den Tag noch ein­mal Revue pas­sie­ren. Und muss beim Sor­tie­ren mei­ner Fotos auf ein­mal schmun­zeln. Ich hat­te gar nicht mehr an die Auf­nah­me gedacht, die ich gleich zu Beginn gemacht hat­te. Beim Ver­las­sen der Gro­ßen Moschee.

Tripoli

Ali ist eigent­lich der­je­ni­ge, der aus­sieht wie ein Tou­rist. Mit sei­ner wei­ßen Hose und dem bun­ten Hemd. Dem Käp­pi und den Ein­kaufs­tü­ten, die er die gan­ze Zeit mit sich her­um­ge­schleppt hat­te. Ob er am nächs­ten Tag wohl wie­der war­ten wür­de? Auf jeman­den, dem er freu­dig ein auf­ge­reg­tes „come, come, come“ ent­ge­gen­ru­fen kann? Oder hat­te er etwa nur auf mich gewartet?

Autor, Reisereporter und Reiseblogger. Nachdem man ihn dazu gebracht hat, seine vorherige berufliche Karriere zu beenden (um das böse Wort Mobbing zu vermeiden), treibt ihn die Neugier hinaus in die Welt und er erzählt Geschichten von unterwegs.

2 Kommentare zu “Überraschungen in Tripoli

  1. Hal­lo Wolf­gang, wow, ein span­nen­des Aben­teu­er und Dank Dei­ner Erzäh­lung und der Bil­der hat­te ich fast das Gefühl dabei zu sein. Vie­len Dank!

    • Hal­lo Micha,
      dan­ke für das net­te Feed­back! Ja, das war echt ein span­nen­des Erleb­nis. Und beson­ders schön sind eben genau die­se uner­war­te­ten Gescheh­nis­se. Die, mit denen man nicht rechnet.
      LG, Wolfgang

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