Saidā, so lautet der arabische Name, ist eine spannende Stadt mit einer wechselvollen Vergangenheit und mit einer schwierigen Gegenwart. Sidon wurde in der Steinzeit gegründet und war später zeitweise sogar in der Hand deutscher Kreuzritter. Die letzten Eroberer waren Anfang der 1980er Jahre die Israelis. Berühmt ist Sidon für seine Süsswaren. Das größte Problem aktuell ist die Flüchtlingsthematik.
Am späten Vormittag war ich in Beirut aufgebrochen. Die Busse Richtung Süden starten von Cola aus, einem Verkehrsknotenpunkt, der mit dem gleichnamigen zuckerhaltigen Erfrischungsgetränk nichts zu tun hat. Beim Versuch, mich nach dem richtigen Bus durchzufragen, hatte ich zunächst in ratlose Gesichter geschaut. Sidon kennt man nicht, keine Chance. Sidon heißt hier Saidā. Und damit funktioniert es dann auch. Etwa 45 km sind es bis Sidon.
Inhalte
Sidon, eine der ältesten Städte der Welt
Die Ursprünge der Stadt liegen etwa in den Jahren 4.000−6.000 v. Chr., genau lässt sich das nicht mehr sagen. Laut The Telegraph gehört Sidon zu den 20 ältesten Städten der Welt. Einst war es eine der wichtigsten Hafenstädte der Phönizier, dann kamen die Perser, gefolgt von den Römern. Bevor die Araber anschließend das Zepter in die Hand genommen haben, hatte es auch deutsche Kreuzritter noch hierher verschlagen. “Strategisch, religiös und wirtschaftlich motivierte Kriege” nennt Wikipedia diesen zweifelhaften Teil der Geschichte vor fast 1.000 Jahren. Was sind heutzutage Ursachen für bewaffnete Konflikte? Es hat sich kaum etwas geändert in all der Zeit.
Sidon muss jedenfalls ein sehr beliebter Standort gewesen sein, sonst wäre es nicht so heftig umkämpft gewesen. Im Jahr 1982 wurde es zuletzt von den Israelis eingenommen. „Frieden für Galiläa“ war die sinnige Bezeichnung der damaligen Offensive. Der Libanon selbst war zu der Zeit vom Bürgerkrieg zerrissen. 15 lange Jahre, von 1975 bis 1990 bekämpften sich Christen und Moslems in unterschiedlichen Gruppierungen und mit wechselnden Koalitionen. Irgendwann hat da kaum mehr jemand durchgeblickt. Der Krieg hat das Land traumatisiert und ist wohl auch ein Beleg dafür, dass Multikulti in derart extremem Ausmaß nicht funktioniert. “Wir müssen lernen, uns nicht länger gegenseitig umzubringen” sagt mir später Jean-Marc Nahas, ein bekannter libanesischer Maler und Zeichner. Dona Timani ist auch Künstlerin, ich habe sie ebenfalls in Beirut getroffen. Und auch sie findet deutliche Worte. Die Wahrnehmung von außen, dass Christen und Moslems in Toleranz leben würden, sei falsch (“completely wrong”) und ergänzt “we hate each other”.
Frischer Fisch
Um drei Uhr nachmittags ist Schluss, erfahre ich. Es ist halb zwei und allzu viel ist schon nicht mehr los. Etliche Stände sind bereits abgebaut und einiges von der fangfrischen Ware wird inzwischen Gegenstand des Verdauungsprozesses unbekannter Konsumenten sein. Nach einem ersten Bummel durch die Souks von Sidon war ich geradewegs am Hafen gelandet und hatte den Fischmarkt entdeckt. Morgens gegen sechs kommen die Fischer täglich mit ihrer Beute zurück, dann fängt der Betrieb an, erfahre ich. Morgens um sechs, das schaffe ich nicht. Ich müsste ja extra aus Beirut anreisen.
Ob man den Fisch auch irgendwo in der Nähe essen könne, frage ich. Einer der Männer deutet hinüber zur anderen Straßenseite. Vier, fünf Restaurants befinden sich dort, noch vor dem Zugang zum alten Stadtkern.
Ein Drama deutet sich an. “Rette mich, ich bin kurz vor dem Verhungern”. Das sollen mir die sehnsüchtigen Katzenaugen wohl sagen. Das kleine Tier hat sich direkt neben mich platziert und sieht mich unverwandt an. Ich hatte mich entschieden, etwas zu essen, bevor ich meine Erkundungstour fortsetze. Und mich für das Restaurant entschieden, in dem die meisten Leute sitzen, offenbar alles Einheimische. Ein bewährtes Auswahlkriterium. Die Frauen, die draußen sitzen, tragen Kopftücher. Und rauchen Wasserpfeife.
Eine Speisekarte gibt es nicht. Ich soll hineinkommen, um mir etwas auszusuchen, so läuft das hier. Ein junger Mann legt zwei Fische in eine Schüssel und blickt mich fragend an. Ich nicke, bin einverstanden. Was ich dazu haben möchte? Hummus. Über einer Speisekarte hätte ich länger gebrütet. Die hätte ich ja nicht einmal verstanden.
Die kleine Katze leckt inzwischen zufrieden ihre Pfoten. Wenig später döst sie selig im Schatten. Die Rettungsmission ist zweifellos gelungen. Und mir hat es auch geschmeckt. Zum frischen Fisch gab es kleine Schälchen mit Zitronenhälften und Salz, außerdem den Hummus und dazu das übliche Fladenbrot. Das Besteck besteht aus einer Plastikgabel.
Besuch der Al-Omari-Moschee
Frisch gestärkt geht es weiter durch die geschäftigen Strassen und schmalen Gassen der Altstadt. Wäre das Viertel größer, man könnte sich hoffnungslos verlaufen. Gelegentlich ernte ich aufmerksame Blicke. Natürlich falle ich auf, das bleibt nicht aus.
Vermutlich wäre ich achtlos an dem Gebäude vorbeigelaufen. Zwei Jungs kicken einen Fußball vor sich her. Einer von ihnen im Trikot des FC Barcelona. Messi lautet der Schriftzug auf dem schmalen Rücken des Burschen. Eine Tür stoßen sie auf. Die hatte ich selbst gar nicht wahrgenommen. Hinein geht die wilde Jagd nach dem runden Leder. Und kurz darauf auch schon wieder hinaus. Der Ball fliegt direkt an an mir vorbei. Und die Jungs hinterher. Die Tür hinter ihnen bleibt offen, sperrangelweit.
Nachdem die kleinen Ballkünstler um die nächste Ecke verschwunden sind, kehrt Ruhe ein und ich stehe im Innenbereich der Al-Omari-Moschee aus dem 13. Jahrhundert. Die offene Tür war wie eine Einladung zum Hereinkommen gewesen. Unverhoffte Eindrücke. Ohne den kleinen Messi und seinen Kumpel wäre ich wohl vorbei gelaufen.
Kriegsspuren und Süssigkeiten
Anschließend setze ich meinen Streifzug durch das Wirrwarr der Altstadtgassen fort. Am Rand des Viertels sind die Spuren gewalttätiger Konflikte nicht zu übersehen. Die mit Einschusslöchern übersäten Hauswände wirken besonders verstörend. 2013 hat die libanesische Armee hier gegen Salafisten gekämpft. “Die libanesische Stadt Sidon gleicht einem Bürgerkriegsgebiet.” hat Der Spiegel damals berichtet. Kein Wunder, dass alles noch so frisch wirkt.
Im Süden der Stadt befinden sich Palästinenserlager. Man soll nicht dorthin gehen, heißt es. Die Camps sind seit Jahren eine Hochburg der Islamisten, das ist die Botschaft. Insgesamt sind bis zu 100.000 Palästinenser in der Stadt, vermutlich nur eine grobe Schätzung. Es gibt unterschiedliche Angaben zu den Zahlen. Irgendwann stehe ich dann doch davor. Es ist nicht das, was man sich unter einem Camp vorstellt, einem Lager. Keine Baracken, keine Zelte. Es sind Häuser, in denen die Flüchtlinge untergekommen sind. An denen hängt die palästinische Fahne. Schwarz, weiß, grün. Dazu das rote Dreieck, dessen Spitze von der linken Seite aus in die Flagge hineinragt.
Ich mache einen Bogen, zurück Richtung Hafen und stehe vor einigen Konditoreigeschäften. Richtig, die berühmten Süsswaren, an die hatte ich nicht mehr gedacht. Zu intensiv waren die anderen Eindrücke. Ich betrete einen der Läden, wo mich Mustafa, der freundliche Konditormeister, sogleich vom süssen Naschwerk probieren lässt. Es handelt sich um eine Filiale von Al Baba Sweets.
Blick auf Sidon vom Seekastell
Das Seekastell hatte ich aus der Entfernung schon registriert, es ist nicht zu übersehen. Dass man dort hineingehen und nach oben steigen kann, bemerke ich aber erst, als ich näherkomme. Fast hätte ich den besonderen Blick von hier auf die Stadt verpasst. 1228 haben die Kreuzritter mit dem Bau der Festung begonnen. Die Fertigstellung hat sich bis 1291 hingezogen, aber dafür hält das Bauwerk ja bis heute. Wäre das der Maßstab, hätte auch die Fertigstellung von BER, dem neuen Berliner Flughafen, noch Zeit. Allerdings wird man die Frage der Finanzierung sicher nicht so kritisch gesehen haben, damals zu Zeiten der Kreuzritter.
Ein kaltes Bier wäre jetzt nicht schlecht, bevor es wieder zurück nach Beirut geht. Aber im alten Kern der Stadt gibt es kein Bier. Es gibt überhaupt keinen Alkohol. Warum? Das ganze Viertel ist muslimisch geprägt.
Insgesamt gesehen ist der Libanon ja kein rein islamisches Land. Es gibt 18 verschiedene Konfessionen und diese religiöse Vielfalt schlägt sich sogar in den politischen Machtverhältnissen nieder. Laut Verfassung werden die Parlamentssitze nämlich jeweils zur Hälfte mit Christen und mit Moslems besetzt. Eine Trennung von Religion und Politik findet nicht statt.
Sidon jedenfalls ist eine Hochburg der Sunniten im Zedernstaat und die wiederum bilden die Mehrheit der Muslime. Bier gibt es also nicht, aber das ist kein Weltuntergang. Das lässt sich nachholen. Am Abend in Beirut.
Wasserpfeifen werden an allen Ecken geraucht. Die Alternative zum Bier ist gefunden. Wasserpfeife rauchen passt auch besser zu diesem Ort. Es passt besser zu der orientalischen Atmosphäre der Stadt, die eigentlich Saidā heisst.
Anschließend im Kleinbus sitze ich in der letzten Reihe. Neben mir junge Männer, die mit ihren Mobiltelefonen beschäftigt sind. Nichts ungewöhnliches. Mein Blick fällt auf das Display meines Nachbarn. Konzentriert schaut er sich Fotos an. Menschen, in Blutlachen liegend, offenbar hingerichtet. Ich blicke in sein Gesicht. Was in ihm vorgeht, ist nicht zu erkennen. Aber er schaut sehr lange. Und es scheinen viele Bilder zu sein, vermutlich Zeugnis von Gräueltaten der Terrormiliz Islamischer Staat, die im benachbarten Syrien wütet.
Ein weiterer Tag mit vielen Eindrücken geht zu Ende. Eindrücke eines kleinen Landes im Brennpunkt zwischen Israel und Syrien. Ein Land, das selbst ein Pulverfass ist und über deren Bewohner ich höre „wir müssen lernen, uns nicht länger gegenseitig umzubringen“. Dass es dort mancherorts kein Bier gibt, ist dabei das geringste Problem.
Vielen Dank für die lieben Worte und ihre Erfahrungen aus unserem Land Libanon, Sie haben das so toll beschrieben, dass ich beim Lesen das Gefühl habe als würde ich das erzählen. ????????
Ganz herzlichen Dank für das tolle Feedback!!! Darüber freue ich mich sehr … 😉